9. Die Schaffung neuen Lebensraumes im Weltall 9.1 Das Problem der Überbevölkerung Die Aussicht auf die Unsterblichkeit wird gegenwärtig von vielen Menschen schon deshalb abgelehnt, weil sie angeblich nicht lösba- re Überbevölkerungsprobleme heraufbeschwören würde. Dabei ist allgemein bekannt, daß wir bereits jetzt ein Überbevölkerungs- problem haben, obwohl unser Leben nur einige Jahrzehnte dau- ert. Das liegt ganz einfach daran, daß die Zahl der Geburten er- heblich größer als die der Sterbefälle ist und die Zahl der Men- schen deshalb immer weiter zunimmt. So wächst gegenwärtig die Weltbevölkerung jedes Jahr um etwa zwei Prozent. Bleibt es bei dieser Wachstumsziffer, dann wird sich die Weltbevölkerung alle 35 Jahre verdoppeln. Sie wird von 4,7 Milliarden im Jahr 1985 auf 6,3 Milliarden im Jahr 2000 und auf 46 Milliarden im Jahr 2100 anwachsen. "Und in tausend Jahren, im Jahr 3000, würden wir die phantastische Gesamtzahl von 2,5 Trillionen (d.h. 2,5 Millio- nen Millionen Millionen) erreichen. Selbst wenn alle Ozeane ver- dampft würden, um mehr Lebensraum zu schaffen, würde das dennoch bedeuten, daß auf jedem Quadratmeter Tausende von. Menschen lebten. Die Vorstellung ist widersinnig. Die Wachs- tumsziffer muß also sinken und eine Art Stabilität erreichen."(1) Schon heute ist die Bevölkerungsdichte in einigen Gebieten der Erde zu hoch. Paul Ehrlich schreibt in seinem Buch "Die Bevölke- rungsbombe": "Ich lernte die Bevölkerungsexplosion gefühlsmä- ßig in einer stinkenden heißen Nacht vor einigen Jahren in Delhi vcrstehen. Meine Frau, meine Tochtcr und ich kehrtcn in einem uralten Taxi in unser Hotel zurück. Wir fuhren in ein überfülltes Slumgebiet. Die Straßen wimmelten von Menschcn. Menschen, die aßen, Menschen, die wuschen, Menschen, die schliefen, Men- schen, die Besuche machten, stritten und schrien. Menschen, die bettelnd die Hände in das Taxifenster steckten ... Menschen, die 134 an Bussen hingen. Menschen, die Tiere hüteten, Menschen, Men- schen, Menschen, Menschen. Seit jener Nacht kenne ich das Ge- fühl der Überbevölkerung."(2) Pessimisten wie Paul Ehrlich meinen, dies sei die Zukunft der bewohnbaren Erde. Sie vertreten die gleiche Ansicht wie Thomas Malthus, der schon 1797 in seinem berühmten "Versuch über das Bevölkerungsprinzip" behauptete, die Bevölkerung werde sich so lange vermehren, bis Hungersnöte, Seuchen und Kriege dem ein Ende machten. Wenn man die heutige Situation einiger Entvick- lungsländer betrachtet, in denen die Bevölkerung in den Ietzten Jahren stark gewachsen ist, scheint Malthus' These durchaus rich- tig zu sein, denn dort gibt es bereits in vielen Gebieten Hunger- katastrophen, Krankheitsepidemien und blutige bewaffnete Aus- einandersetzungen. Allerdings wird häufig vergessen, daß die zweite Auflage von Malthus' Aufsatz das Eingeständnis enthielt, , die Bevölkerung könne durch "sittliche Zurückhaltung", wie er es nannte, sehr wohl kontrolliert werden. Malthus hat diesen Begriff nicht näher definiert. Es zeigt sich aber, daß die Bürger der industrialisierten Staaten ganz freiwillig eines solche Zurückhaltung üben. In diesen Ländern bleibt die Einwohnerzahl nämlich ungefähr konstant, obwohl dort die Re- gierungen und die Kirchen häufig sogar zu mehr Geburten aufru- fen. Nach den Statistiken der Vereinten Nationen treten hohe und potentiell katastrophale Wachstumsziffern nur in den unterent- wickelten Ländern auf. Somit scheinen Armut und Unwissenheit zu den Hauptgründen des Bevölkerungswachstums zu gehören. Folglich könnten die Überbevölkerungsprobleme gelöst werden, wenn die Reichtümer dieser Erde gerecht verteilt werden könnten, so daß auch die Entwicklungsländer für ihre Bürger einen gewis- sen materiellen Wohlstand schaffen sowie gute Schulen und ein leistungsfähiges Gesundheitssystem aufbauen könnten. Eine friedliche und gerechte Weltgesellschaft, wie sie voraussichtlich nach einer Verbreitung des Gedankens von der Zeitreise entstehen wird, würde das ermöglichen (vgl. Abschnitt 8.3). Außerdem kann jeder einzelne auf die Unsterblichkeit hoffen, wenn überall auf der Welt Einrichtungen zur Kryokonservierung des Gehirns gebaut werden. Auch das könnte die Bereitschaft der Menschen vermindern, zu viele Kinder großzuziehen, weil sie dann nicht mehr nur in ihren Nachkommen weiterleben. Somit wird gerade die Suche nach Wegen zur Unsterblichkeit dazu führen, daß es die 135 von Malthus nicht ganz zu Unrecht prophezeiten Hungersnöte, Seuchen und Kriege in der Zukunft nicht mehr geben wird. Wenn später Techniken zur Seelenaufzeichnung und -übertragung und zur Wiedererweckung der Zeitreisenden zur Verfügung ste- hen, können die Menschen den begrenzten Lebensraum der Erde umschichtig nutzen. Dazu können sie vereinbaren, daß jede Seele vor ihrer Übertragung in einen neuen Körper eine gewisse Zeit aufgezeichnet im Ruhezustand warten muß. Dann wird in jedem Augenblick nur ein Teil der Weltbevölkerung am Leben sein. Die übrigen schlummern in den Speichertresoren, in denen ihre Seeleninformation aufbewahrt wird. Sie schlafen tief und traum- los, solange, bis sie durch eine Übertragung ihrer Seeleninforma- tion in einen neuen Körper wieder ins Dasein zurückgerufen wer- den. So kann jeder einzelne ein unbegrenztes Leben genießen, das allerdings durch längere Ruhezeiten vor jeder Seelenübertragung unterbrochen wird. 9.2 Die fliegenden Gärten Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß eine solche umschichtige Nutzung eines begrenzten Lebensraumes jemals notwendig sein wird. In der Zukunft wird es wahrscheinlich möglich sein, eine wachsende Weltbevölkerung und die vielleicht gewaltige Anzahl der wiedererweckten Zeitreisenden sehr gut mit materiellen Gü- tern zu versorgen. Zwar sind der Platz auf der Erdoberfläche, die Rohstoffvorräte in der Erdkruste und die Aufnahmefähigkeit der natürlichen Umwelt für von der Industrie erzeugte Schadstoffe begrenzt. Die Menschen könnten aber neuen Lebensraum für sich im Weltall schaffen. Das wäre zwar mit den gegenwärtig verfügbaren Technologien nicht möglich. Die Raumfahrt begann aber erst vor etwa 40 Jah- ren und steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Da mit ständi- gen Fortschritten in Wissenschaft und Technik zu rechnen ist, läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen, daß irgendwann die für die Besiedlung des Weltalls erforderlichen leistungsfähigen Raumschiffe und Maschinen gebaut werden können. ßereits heute existieren detaillierte Pläne und Konstruktionszeich- nungen für Weltraumsiedlungen in riesigen zylinderförmigen 136 Raumstationen, die viele Kilometer groß gebaut verden können. So hat Professor Gerard K. O'Neill von der amerikanischen Princeton Universität Modelle für solche Kolonien entwickelt und physikalisch sowie technisch durchgespielt. Bei einem Symposium im N.A.S.A.-Ames-Forschungslaboratorium wurde im Sommer 1975 von Ingenieuren, Natur- und Sozialwissenschaftlern, unter maßgeblicher Beteiligung von O'Neill, das Projekt Weltraumsied- lungen wochenlang analysiert, diskutiert und schließlich einstim- mig als durchführbar akzeptiert (1). Für den Anfang sind Stützpunkte auf dem Mond geplant. Dort sollen im Tagbau die Rohstoffe gewonnen werden, aus denen dann in einer Erdumlaufbahn unter den erleichterten Bedingun- gen der Schwerelosigkeit riesige geschlossene Zylinder konstruiert werden können. Die ersten Zylinder sollen Platz für einige Tau- send Menschen und alle möglichen Pflanzen und Tiere bieten. In ihnen wird es Land- und Seeflächen mit Stadtregionen, Anbauge- bieten, Wäldern und Erholungsparks geben. Automatisch gesteu- erte Außenspiegel werden die Sonnenstrahlung in das Innere die- ser "Containerwelten" reflektieren und so künstlich für einen nor- malen "Erdentag" sorgen. Die Zylinder werden langsam um ihre Längsachse rotieren, um an ihrer Innenwand, wo sich die Land- schaften und die Wohnungen der Siedler befinden werden, die Erdschwerkraft zu simulieren. So werden die Neubürger im All ähnliche Lebensbedingungen wie auf der Erde vorfinden. Sie wer- den in einer kilometerweiten, leicht gekrümmten Landschaft woh- nen, mit Eigenheimen und Gärten. Später sollen dann mit fortge- schrittenen Technologien wesentlich größere Zylinder gebaut wer- den, von denen jeder einzelne Millionen von irdischen Auswande- rern aufnehmen könnte (2). Die Weltraumkolonien können sich nach Ansicht von Professor O'Neill weitgehend selbst versorgen. Die Siedler verfügen in ihren riesigen Zylindern über genügend Landfläche und Sonnenlicht, um eine intensive Landwirtschaft zu betreiben und eine Fülle nahrhafter und abwechslungsreicher Lebensmittel zu erzeugen. Ihre Abfälle können sie mit Hilfe von Recycling-Verfahren wie- deraufbereiten und so alles Lebensnotwendige (z.B. das Wasser) ständig zurückgewinnen. Rohstoffe für ihre Industrien und für den Bau neuer Kolonien erhalten sie vom Mond. Nur einige selte- ne Zusatzchemikalien, von denen nur geringe Mengen benötigt werden, beziehen sie am Anfang noch von der Erde. Energie lie- 137 fert ihnen die Sonne, deren Strahlung im Weltall viel stärker ist als auf der Erde, da es dort keine Atmosphäre und keine Wolken gibt. Professor O'Neill stützte sich bei seinen Plänen nur auf bereits be- kannte Technologien. Er zeigte, daß riesige zylinderförmige Raumstationen schon mit den gegenwärtigen Mitteln der Technik gebaut werden könnten. Die einzige große Neuerung, die er vor- aussetzte, war eine Flotte verbesserter Raumf.hren, die in den er- sten Jahren der Weltraumkolonisierung jeden Tag etwa 50 Tonnen Material ins Weltall befördern sollten. Dabei handelt es sich um Ausrüstungen, Vorräte und Wohnräume, die zur Errichtung der ersten Mondstützpunkte und Raumstationen benötigt werden. Nach dieser Anfangsphase braucht der Umfang der Materialtrans- porte von der Erde aus keineswegs zuzunehmen, weil dann fast alle Rohstoffe für den Bau und für die Versorgung weiterer Kolo- nien auf dem Mond gewonnen werden können. Da der Mond eine viel geringere Oberflächenschwerkraft als unser Heimatplanet hat, genügt ein verhältnismäßig einfaches elektrisches Katapultsy- stem, um Erze und Mineralien vom Mond zu den Raumstationen zu schießen (3). Folglich sind für den Transport der Millionen Ton- nen von Monderz, die für den ßau der großen Zylinder benötigt werden, keine teuren Raketenstarts notwendig. Auch wenn O'Neill einige Schwierigkeiten unterschätzt haben sollte, so zeigen seine Überlegungen doch, daß für die Besiedlung des Weltalls keine heute noch unvorstellbaren Techniken der fer- nen Zukunft notwendig sind. Bereits die heutigen Raumfähren der Amerikaner können mit jedem Flug 23 Tonnen Nutzlast in eine Erdumlaufbahn transportieren (4). Die Explosion der Raum- fähre Challenger, bei der am 28. Januar 1986 sieben Astronauten ums Leben kamen, weist allerdings darauf hin, daß bei dieser Technik noch nicht alle Probleme gelöst sind. Dieses tragische Un- glück ist aber kein Grund zu vermuten, daß eine Kolonisierung des Weltalls unmöglich sei. Auch die alten Polynesier, Wikinger, Spa- nier und Portugiesen verfügten nicht von Anfang an über hoch- seetüchtige Schiffe, als sie beschlossen, sich auf die Ozeane hin- auszuwagen und zu bis dahin unbekannten Inseln und Kontinen- ten aufzubrechen. Erst nach geduldigem Probieren gelang es ihnen, stabile Schiffe zu konstruieren, mit denen sie die für dama- lige Begriffe unermeßlichen Weiten des Ozeans überwinden konn- ten. Selbstverständlich ist der Bau eines Raumschiffes viel schwie- riger als der eines primitiven Segelschiffes. Es wäre jedoch eine 138 arrogante Selbstüberschätzung, anzunehmen, daß ausgerechnet unsere gegenwärtige Zivilisation den Höhepunkt der Entwicklung darstellt. Da auch für die Zukunft mit weiteren Fortschritten in Wissenschaft und Technik zu rechnen ist, kann man vielmehr da- von ausgehen, daß unsere Nachfahren in einigen Jahrhunderten weitaus leistungsfähigere und zuverlässigere Raumschiffe besitz.en werden. Die Raketen unserer Tage werden dann wohl das gleiche acnüsierte Interesse auslösen wie heute ein Einbaum in einem völ- kerkundlichen Museum. Sobald verbesserte Raumfahrttechnologien zur Verfügung stehen, wird sich die Gründung von Weltraumkolonien trotz der anfäng- lich hohen Investitionskosten wahrscheinlich auch wirtschaftlich als sehr gewinnbringend erweisen. Die Schwerelosigkeit und das Vakuum des Weltraumes bieten nämlich günstige Bedingungen für zahlreiche industrielle Fertigungsverfahren, die auf der Erde gar nicht möglich oder sehr umständlich wären. Beispielsweise kön- nen in der Schwerelosigkeit reine Kristallformen für einstweilen kaum vorstellbare elektronische Geräte wachsen. Außerdem las- sen sich im Weltall verbesserte optische Linsen und Spiegel, neu- artige Metall-Legierungen mit überlegenen Gewichts-, Festigkeits- und Reinheitseigenschaften und perfekt runde Kugellager herstel- len. Auch biologische und medizinische Produkte können wesent- lich verbessert werden. Z.B. lassen sich bei Schwerelosigkeit reine- re und wirksamere Heilmittel und Impfstoffe gewinnen (5). Auch das Vakuum des Weltalls ist für einige Industrien sehr vor- teilhaft. Viele unserer technischen Geräte (von der gewöhnlichen Glühlampe und der Thermosflasche bis zu den komplizierteren Fernsehapparaten und Computern) sind nämlich auf die Vakuum- tec·hnik angewiesen. Eine große Zahl von Fabriken, die solche Produkte herstellen, brauchen Vakuumkammern, die sehr teuer und höchstens zu 80% wirksam sind. Das "Journal of Vacuum Science and Technology" (Zeitschrift für Vakuumwissenschaft und -technik) ist voller Berichte über kostspielige Apparate, die Lecks entdecken und den Unterdruck in der Kammer erhalten sol- len. All diese komplizierten Geräte wären im Weltraum überflüs- sig. Dort steht außerhalb der Raumstationen ein kostenloses und räumlich unbegrenztes Vakuum zur Verfügung (6). In der Zukunft wird man wohl nach und nach immer mehr Indu- strien in das Weltall verlegen. Wie schon gesagt, ist dort die Son- nenstrahlung viel stärker als auf der Erde, so daß sie mit bereits 139 heute bekannten Technologien sehr effektiv in elektrische oder chemische Energie umgewandelt werden kann. Folglich wird es für die Weltraumfabriken keine Energieprobleme geben. Außer- dem stehen im Weltall ungeheure Rohstoffreserven zur Verfü- gung. Abgesehen vom Mond lassen sich insbesondere die Aste- roiden als Erzminen nutzen. Diese sind winzige Planeten, die zwi- schen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter die Sonne um- kreisen. Sie sind alle viel zu klein, um eine Atmosphäre festzuhal- ten. Der größte Asteroid, Ceres, hat einen Durchmesser von etwa 700 km. Die übrigen, ca. 50.000 an der Zahl, liegen zwischen 500 km Durchmesser und bloßen Steinbrocken von einem Meter Durchmesser oder noch weniger. Insgesamt besitzen sie ungefähr ein Prozent der Masse der Erde (7). Während wir auf unserem Heimatplaneten nur einen kleinen Teil der Mineralien in der dünnen Erdkruste ausbeuten können, ließe sich mit fortgeschrittenen Technologien die gesamte Nlasse der Asteroiden für die Rohstoffgewinnung verwerten. Da sie unbe- wohnt sind, würde ihr Verschwinden niemanden stören. Sie bilden also eine ungeheure Materialreserve für den Bau und den Betrieb von Raumstationen und Weltraumfabriken. In ihnen befinden sich alle dafür benötigten Rohstoffe. Z.B. ent- halten sie in großen Mengen Eisen, Nickel und andere Metalle; Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen für die chemische Indu- strie; Wasser zur Ergänzung der Vorräte der Kolonien und vieles andereg. Vielleicht wird man die Asteroiden in der Zukunft mit Explosivstoffen auseinandersprengen und die Fragmente mit Ra- ketenmotoren in größere Sonnennähe bringen, wo genügend Son- nenenergie zur Verfügung steht, um ihre Rohstoffe durch Indu- strieanlagen auszubeuten. Abgesehen vom Mond und den Asteroiden kann man auch andere Himmelskörper des Sonnensystems zur Erzgewinnung nutzen. So sind z.B. die Planeten Merkur, Venus und Mars ähnlich zusam- mengesetzt wie die Erde und ebenso wie sie reich an Mineralien. Sobald die Menschen gelernt haben, die Rohstoffvorräte der Aste- roiden und der anderen Planeten auszubeuten, gibt es kcinen Grund mehr dafür, die Weltraumkolonien und -fabriken zu Satel- liten der Erde zu machen. Die Bewohner der Erde hätten sogar überzeugende Argumente dagegen, d1 eine große Zahl solcher Ob- jekte im Umlauf um die Erde das Sonnenlicht blockieren würde. 140 So wird man sie ebenso wie die Planeten in eigenen ßahnen um die Sonne kreisen lassen. Die Erde wird dann wieder zu einer Naturlandschaft werden, weil umweltbelastende Produktionsstätten ins Weltall ausgelagert wer- den können. So können die Menschen die Schönheit der Erde wie- der zurückgewinnen, ohne gleichzeitig auf die Vorteile technischer Produktionen verzichten zu müssen. Im Laufe der Zeit werden die Weltraumsiedlungen in den riesigen Raumstationen zu gewaltigen fliegenden Städten anvachsen. Sie werden alle Annehmlichkeiten bieten, die man von einer großen Stadt erwartet. Die Stationen brauchen übrigens nicht unbedingt zylinderförmig zu sein. Sie könnten auch gigantischen Rädern gleichen oder noch anders aussehen. Man kann sich leicht vorstellen, daß es in späteren Jahrhunderten eine große Zahl solcher fliegenden Städte geben wird, jede viel- leicht etwa 30 Kilometer im Durchmesser und mit riesigen Hafen- anlagen für den kommerziellen und Intercity-Verkehr ausgestat- tet. Sie alle würden die lebensspendende Sonne in unterschiedli- chen Bahnen umlaufen. "Um jede Stadt würden viele Satelliten, kleiner als sie selber, kreisen. Dazu würden die schnellen Raum- schiffe gehören, die Menschen und Material zu anderen Städten und fernen Planeten befördern. Sie würden um ihre Stammstadt kreisen, bis sie gebraucht werden, genauso wie auf der Erde ein schnelles Motorboot an einem Ozeanriesen vertäut ist, solange dieser vor Anker liegt."(9) Adrian Berry schreibt in seinem Buch "Die große Vision" zu den Lebensbedingungen in den riesigen Raumstationen: "Man mag einwenden, es sei unerträglich, ständig in einer dieser fliegenden Städte zu leben. In den frühen Stationen .. . wird das Leben tat- sächlich recht beschränkt sein, und nur wenige werden dort länger als einige Monate Dienst tun wollen. Doch wenn weit größere Städte gebaut werden, kann man dort Parks und Gärten von prak- tisch unbeschränkter Größe anlegen. Jede Pflanze, jeder Baum in diesen Parks werden ebenso wirklich sein wie ihre Gegenstücke auf der Erde. Es gibt keine absolute Grenze für die Größe, zu der solche Städte anwachsen können." (10) Die Städte auf der Erde leiden dagegen unter Problemen, die hauptsächlich auf die Mängel ihrer Geographie zurückzuführen sind. "Das Zentrum von Los Angeles liegt in einem von Bergen umgebenen Talkessel, in dem sich bei bestimmten Wetterbedin- 141 gungen der Smog zu kaum erträglicher Intensität konzentricrt. Manhattan ist räumlich so beengt, daß eine große Zahl seiner Bür- ger in entmenschlichenden Wolkenkratzern wohnen muß, und die Slums breiten sich auf der ganzen Welt weiter aus. In Japan haben die Gebirge die Industrie gezwungen, sich in einem riesien Gebiet v um Tokio zu konzentrieren." Wie sehr das zur Verschmutzung der Atmosphäre geführt hat, läßt sich daran erkennen, daß die Schutzleute Smogmasken tragen müssen, wenn sie als Verkehrs- polizisten Dienst tun. Auf der Erde ist es nicht möglich, die Städte immer weiter wach- sen zu lassen. Wenn man das täte, würde man nur anderen Men- schen die freie Natur rauben. Hingegen steht in der grenzenlosen Weite des Weltraums beliebig viel Platz zur Verfügung. Dort kann man die Städte so groß bauen, wie es nötig ist. Zusätzlich zu den fliegenden Städten werden die Ingenieure der Zukunft wohl auch luxuriöse Kolonien auf dem Mars, auf den Monden des Jupiters und des Saturns und auf weiteren geeigneten Himmelskörpern schaffen. Diese werden vielleicht von Touristen besucht werden, die eine andere Welt kennenlernen und bcispiels- weise die Schönheit der Saturnringe oder der bizarren Gebirgsfor- mationen des Mars aus der Nähe betrachten möchten. Allerdings sind die besiedlungsfähigen Flächen auf den Planeten und Mon- den unseres Sonnensystems begrenzt. Sie umfassen bestenfalls einige Male die Oberfläche der Erde (12). Hingegen können nach den Berechnungen von Professor O'Neill und seinen Mitarbeitern allein aus den verhältnismäßig leicht zu- gänglichen Rohstoffen des Mondes und der Asteroiden so viele Raumstationen geschaffen werden, daß die in ihnen verfügbaren Siedlungsflächen insgesamt mehr als tausendmal größer sind als die auf der Erde vorhandene Landmasse (13). Somit werden die riesi- gen Raumstationen der Zukunft auch bei einer sehr großen Welt- bevölkerung nur noch dünn besiedelt sein, sobald eine genügende Anzahl von ihnen gebaut worden ist. Die Stationen werden dann keine fliegenden Städte mehr sein, sondern ausgedehnten fliegen- den Gärten gleichen. Dort werden die Kolonisten inmitten von Flüssen, Wäldern und Seen leben. Ihre Häuser werden wahr- scheinlich den höchsten Anforderungen an Komfort und Ästhetik entsprechen. In großen Raumstationen mit einem Durchmesser von vielen Kilometern wird man auch künstliche Gebirge gestalten und das irdische Klima nachahmen können. 142 Es wird wohl fliegende Gärten mit den verschiedensten Land- schaftsformen und Vegetationen geben. In einigen wird man lebcn wie in den Tropen oder in der Südsee. In anderen wird es Wald- und Heideregionen wie in Mitteleuropa oder Tundren wie in Lappland geben. In den fliegenden Gärten wird fast alles vorhan- den sein, was es auf der Erde gibt oder was die Bewohner sich wünschen. So werden die Kolonisten wohl auf kein Vergnügen zu verzichten brauchen, das sie von der Erde her kennen. Darüber hinaus haben sie noch einige weitere Möglichkeiten. Z.B. können sie in den schwerelosen Bereichen, wo ihr Körper kein Gewicht hat, mit Flü- geln, die sie an Armen und Beinen befestigen, wie die Schmetter- linge durch die Luft tanzen. In Schwimmbädern, die sich in Zonen mit niedriger Gravitation befinden, können sie auf dem Wasser gehen * T. A. Heppenheimer erwähnt in seinem Buch "Eine Arche auf dem Sternenmeer" noch einen weiteren wichtigen Aspekt der Frei- zeitgestaltung im Weltall: "Eine einleuchtende Vergnügung, be- liebt sowohl auf der Erde wie außerhalb, wird Sex sein. Und im Weltraum wird es solchen in Null-Gravitation, also ohne Körper- schwere geben. Allerdings war es bis jetzt den ... Astronauten versagt, in diesen schwerelosen Wonnen zu schwelgen." Doch der englische Wissenschaftsphilosoph und Schriftsteller Arthur C. Clarke, der die Wichtigkeit von Weltraumkolonien voraussah, hat sich auch mit diesem Problem schon befaßt: "Soviel können wir voraussagen: Schwerelosigkeit bringt neuartige erotische Vergnü- gungen mit sich."(14) Trotz allem würde das Leben in einer zwar viele Kilometer gro- ßen, aber dennoch begrenzten Raumstation auf die Dauer wohl ziemlich eintönig werden. Man kann jedoch davon ausgehen, daß in späteren Jahrhunderten sehr viele und sehr leistungsfähige Raumschiffe zur Verfügung stehen werden. So wird jeder ßürger einer Weltraumkolonie nahezu unbegrenzte Möglichkeiten haben, ausgedehnte Reisen durch das All zu unternehmen, und andere * Die großen zylinderförmigen Raumstationen der Zukunft werden sich langsam um ihre Längsachse drehen. Dadurch entstehen an den Innenwänden der Zylin- der Fliehkräfte, welche die irdischen Schwerkraftverhältnisse simulieren. Wenn man sich hingegen auf die Rotationsachse zubewegt, werden die Fliehkräfte und mit ihnen die Gravitation geringer. Im ßereich der Rotationsachse herrscht Schwerelosigkeit. 143 fliegende Gärten, die Erde oder weit entfernte Planeten zu besu- chen. Dabei ist der Start eines Raumschiffes von einem fliegenden Garten aus viel einfacher als von der Erde, weil die Anziehungs- kraft auch sehr großer Raumstationen im Vergleich zu der unseres Planeten vernachlässigbar gering ist. 9.3 Zeiten der Fülle Schon seit dem Beginn ihrer Geschichte hat die Menschheit da- nach gestrebt, neues Land und neue Siedlungsräume zu finden. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte diese Sehnsucht ihre Erfüllung innerhalb der Grenzen unseres Planeten finden. Heute ist sie dagegen einer der wichtigsten Gründe für das Interesse an der Weltraumfahrt. Die Entdecker und Auswanderer der Vergangenheit bewegte außerdem noch ein anderes Motiv. Sie hofften auf eine Befreiung von der Armut und auf materiellen Wohlstand. Die spanischen Konquistadoren suchten sogar nach Eldorado, dem sagenhaften Goldland, in dem man ohne jede Anstrengung ungeheure Schätze in seinen Besitz bringen konnte. Dieses Traumland wurde niemals gefunden, aber in unserem Jahrhundert haben die Industrialisie- rung und andere technische Fortschritte den Einwohnern Euro- pas, Nordamerikas und Nordasiens einen höheren Lebensstan- dard ermöglicht, als ihn jemals zuvor in unserer Geschichte eine Kultur gekannt hat. Die meisten Industriestaaten streben auch für die Zukunft ein weiteres wirtschaftliches Wachstum an, um für ihre Völker noch mehr Wohlstand zu schaffen. Dieses Ziel werden sie auf längere Sicht jedoch nur durch eine Kolonisierung des Weltalls erreichen können. Manche werden vielleicht fragen, ob eine Steigerung des materiel- len Wohlstandes für die ßürger der reichen Länder überhaupt noch interessant sein kann. Professor ßanfield von der Harvard Universität, Angehöriger der Oberschicht der Vereinigten Staaten, schrieb dazu vor einiger Zeit: "Es kann wohl niemand behaupten, daß unsere Wirtschaft alle vom Volk benötigten Waren und Dienstleistungen hervorbringen kann. Wir könnten es nicht und wir könnten nicht einmal den Anfang dazu machen, selbst wenn wir alle in jeder Woche 80 Stunden arbeiten würden. . . Mein eige- 144 nes Einkommen ist gewiß annehmbar, aber ich wünschte mir, zehnmal mehr zu haben. Ich hätte dafür eine recht gute Verwen- dung. Ich habe den Eindruck, daß die meisten genauso denken."(1) Diese Betrachtungen rechtfertigen selbstverständlich nicht ein rücksichtsloses Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen, wie es ge- genwärtig die Politik einiger Industriestaaten zu bestimmen scheint, die den materiellen Wohlstand ihrer Bürger offensichtlich höher bewerten als das Leben der Hungernden in der Dritten Welt. Professor Banfield wollte wahrscheinlich nur darauf hin- weisen, daß es wünschenswert wäre, allen Menschen so viel Wohl- stand und Luxus zu ermöglichen, wie ihn heute nur die Reichsten genießen können. Dieses Ziel kann auf der Erde jedoch nicht ver- wirklicht werden. Auf unserem Heimatplaneten können wir nicht mit einem ständig steigenden Wohlstand rechnen, weil seine Roh- stoffvorräte und das Bauland auf seiner Oberfläche begrenzt sind. Derartige Grenzen des Wachstums gibt es im Weltall nicht, denn dort stehen beliebig große Räume und unerschöpfliche Reserven an Materie und Energie zur Verfügung. Obwohl wir heute schon Raumfahrt betreiben können, wird es allerdings auch bei intensi- ver Forschung noch längere Zeit, vielleicht einige Jahrhunderte, dauern, bis wir in eine'm wirklich großen Maßstab mit der Koloni- sierung des Weltalls beginnen können. Bis dahin werden sich die meisten Menschen mit dem begrenzten Lebensraum der Erde be- gnügen müssen. Die nächsten Jahrhunderte könnten zu einem dunklen Zeitalter werden, wenn die Regierungen der Industriestaaten ihre bisherige Politik fortsetzen, die vor allem auf wirtschaftliches Wachstum und einen Ausbau ihrer militärischen Macht abzielt. Eine weitere rücksichtslose Ausbeutung der keineswegs unbegrenzten Natur- schätze der Erde würde nämlich irgendwann nicht mehr zu stei- gendem Wohlstand, sondern nur noch zu zunehmender Umwelt- zerstörung und damit zu sinkender Lebensqualität führen. Man kann jedoch hoffen, daß ein solches dunkles Zeitalter gar nicht eintreten oder nur von kurzer Dauer sein wird. Wie schon er- läutert, wird nach einer Verbreitung des Gedankens von der Zeit- reise voraussichtlich eine friedliche und gerechte Weltgesellschaft entstehen, die das Leben und das Wohl der Menschen höher ach- ten wird als Macht und Profit. Wenn die Staaten dann ihr Wettrü- sten beenden, sparen sie in ihren Verteidigungshaushalten gewalti- ge Geldbeträge ein, die sie für wirksamere Umweltschutzmaßnah- 145 men ausgeben können, um so die Schadstoffbelastung der Luft, des Bodens und der Gewässer zu verminciern. Auch die Begrenzt- heit der Rohstoffvorräte auf unserem Planeten braucht nicht zu unlösbaren Problemen zu führen, denn in den tieferen Schichten der Kontinente und in den Meeren sind noch ungeheure Rohstoff- reserven vorhanden. Außerdem können viele Rohstoffe mit Hilfe von bereits jetzt prinzipiell bekannten Recycling-Verfahren aus den Abfällen wieder zurückgewonnen werden. Somit haben wir genügend Möglichkeiten, für alle Menschen auf der Erde ange- nehme Lebensbedingungen zu schaffen, auch wenn vor der Kolo- nisicrung des Weltalls niemand auf unbegrenzte Reichtümer hof- fen kann. Nach einer Verbreitung des Gedankens von der Zeitreise wi.rd es ein wichtiges Anliegen der Menschen sein, den wissenschaftlichen Fortschritt zu fördern, denn ihnen wird bewußt sein, daß dieser ihnen eine spätere Wiederauferstehung und ein unbegrenztes Leben ermöglichen wird. Die ständige Weiterentwicklung aller Wissenschaften wird es auch gestatten, die Raumfahrttechnolo- gien zu verbessern, die Rohstoffvorräte des Mondes und der Aste- roiden auszubeuten und schließlich das Weltall zu besiedeln. So- mit stehen der Weg der Menschheit zur Unsterblichkeit und ihr Aufbruch zu den Sternen in einer engen Beziehung. Sobald es den Menschen gelungen ist, Techniken zur Kolonisie- rung des Weltalls zu entwickeln, wird für sie ein wahres Zeitalter der Fülle beginnen. Dann werden sie über unerschöpfliche Res- sourcen verfügen, weil sie die praktisch unbegrenzten Vorräte an Materie und Energie im Universum zu ihrem Vorteil nutzen kön- nen. So werden sie einen heute noch unvorstellbaren Reichtum ge- winnen und jeden denkbaren Luxus genießen können. Bis dahin wird die Robotertechnik so weit fortgeschritten sein, daß Auto- maten alle anstrengenden und langweiligen Arbeiten ausführen können. Sie werden auf Befehl der Menschen jede Dienstleistung erbringeri und erforderlichenfalls neue Maschinen bauen, um aus den Rohstoffen des Weltalls zusätzliche Güter zu produzieren. So wird der Wohlstand immer weiter wachsen. Deshalb werden in ei- ner gerechten Gesellschaft der Zukunft alle Menschen viel bessr leben als heute die Angehörigen der kleinen Oberschicht. Für die fernere Zukunft ist es denkbar, ganze erdähnliche Plane- ten mit Ozeanen, Inseln, Kontinenten, Ebenen und Gebirgen zu erschaffen, die von Pflanzen, Tieren und Menschen besiedelt wer- 146 den kc5nnen. Bei ständiger Weiterentwicklung der Technik werden wohl irgendwann Maschinen zur Verfügung stehen, mit denen sich künstliche Planeten formen lassen. Die dafür be.nötigte Materie und Energie ist im Weltall reichlich vorhanden. Wahrscheinlich wird es auch gelingen, zu anderen Sternen zu reisen, so daß ciie un- geheuren, aber endlichen Vorräte an Materie und Energie im Son- nensystem für die Menschheit keine Grenze des Wachstums bil- den. Wie im 12. Kapitel erläutert wird, werfen solche extrem wei- ten Raumflüge keine unlösbaren Probleme auf. Techniken zur Seelenaufzeichnung und -übertragung machen sie sogar sehr ange- nehm (vgl. Kapitel 12.2). So werden die unsterblichen Menschen der Zukunft für sich und ihre Kinder beliebig viel neuen Lebensraum im Weltall schaffen können. Anders als wir Heutigen werden sie nicht mehr nur an ei- nen einzigen Planeten gebunden sein. Ihnen wird das gesamte Uni- versum offenstehen. In ihrem unbegrenzten Leben werden sie eine Vielzahl fremder Sonnensysteme und Planeten besuchen können und dabei viel mehr sehen und erleben, als wir uns heute über- haupt nur vorstellen können. 147