7. Andere Möglichkeiten für eine Zeitreise In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargelegt, daß sich die Seeleninformation eines Zeitreisenden durch die Konservierung seines Gehirns bei extrem tiefen Temperaturen schon mit heute verfügbaren Techniken wahrscheinlich vollständig bewahren läßt. Auch wenn das einmal nicht gelingen sollte, z.B. weil es in einer zu langen Wartezeit zwischen dem Tod und dem Einfrieren schwere Schäden am Gehirn gab, kann der Zeitreisende wiedererweckt werden. Allerdings ist dann seine Persönlichkeit verändert. Wenn die Gehirninformation zum größten Teil erhalten geblieben ist, sind unter Umständen nur einige unwesentliche Erinnerungen nicht mehr vorhanden. Andernfalls müssen die Ärzte der Zukunft alle fehlenden Teile der Gehirninformation ergänzen, weil sich der wiedererweckte Mensch sonst unvollkommen fühlen würde. Dabei helfen dem Arzt Aufzeichnungen des Zeitreisenden über sein früheres Leben, in denen er seine Gedanken und Erfahrungen notiert hat. Da sie Informationen über seine Erinnerungen und seine Persönlichkeit enthalten, werden sie unter Umständen eine Rekonstruktion von Persönlichkeitsstrukturen und Gedächtnis- inhalten ermöglichen, die in zerstörten ßezirken seines Gehirns ge- speichert waren. In Zukunft wird man nämlich in schriftlichen Unterlagen festgehaltene Gedanken, Erfahrungen und Erinnerun- gen ebenso wie die in einem eingefrorenen Gehirn gespeicherten in ein neues Gehirn in einem neuen Körper übertragen können, weil dann die biochemischen Grundlagen des Denkens und des Ge- dächtnisses genau erfoescht sein werden. Somit lassen sich feh- lende Teile der Gehirninformation anhand von Aufzeichnungen des Zeitreisenden ergänzen. In diesem Kapitel wird erläutert, wie man ohne großen Zeitaufwand umfassende Unterlagen über das eigene Leben mit möglichst vielen Informationen über seine Ge- danken und Erinnerungen zusammenstellen kann und wie sich diese für praktisch unbegrenzte Zeit erhalten lassen. 109 Um keine Möglichkeit für eine Zeitreise und eine spätere Wieder- auferstehung außer acht zu lassen, wird in Teil 7.2 die folgende Frage untersucht: Kann ein Verstorbener nach entsprechenden Fortschritten in der Wissenschaft auch dadurch wiedererweckt werden, daß seine in ausführlichen Aufzeichnungen notierten Ge- danken, Erfahrungen und Erinnerungen in einen neu erschaffe- nen Körper übertragen werden? Obwohl man es zunächst nicht er- wartet, zeigt sich nach einigen Überlegungen, daß das möglich ist. Bei einer solchen Wiedererweckung allein aufgrund von Unterla- gen geht die Einzigartigkeit der Persönlichkeit nicht verloren. Wie in Abschnitt 7.2 begründet wird, gilt das auch dann, wenn mit der Anfertigung von ausführlichen Aufzeichnungen erst in höherem Alter oder im Wissen von unheilbarer Krankheit begonnen wurde und dafür noch mehrere Jahre zur Verfügung standen. Somit kann man die Sammlung umfassender Informationen über das eigene Leben als eine zusätzliche Möglichkeit zur Überwindung des Todes betrachten (vgl. Übersichtsdiagramm). Gegenwart: Anfertigung von umfassenden Aufzeichnun- gen mit möglichst vielen Informationen über die eigene Persönlichkeit, die eigenen Erin- nerungen und Erfahrungen kommende Jahrhunderte: Erhaltung der Aufzeichnungen Zukunft: Wiedererweckung (Erschaffung eines neuen Körpers. Dabei werden dem neuen Gehirn die aus den Aufzeichnungen erkennbaren Persönlichkeitseigenschaften, Erinnerungen und Erfahrungen aufgeprägt.) Übersichtsdiagramm zu Kapitel 7 7.1 Die Sammlung von Informationen über das eigene Leben Wenn man Informationen über sein Leben und seine Persönlich- keit sammeln will, ist es sinnvoll, möglichst oft das aufzuschrei- ben, was man gerade gedacht hat, und dabei seine jeweils in den 110 5inn kommenden Erinnerungen, Ansichten, Vorstellungen, Phan- tasien, Hoffnungen, Wünsche, Sorgen und Ängste zu schildern. Iiemand ist imstande, sich ständig mit der Anfertigung solcher Aufzeichnungen zu befassen. Da wichtige Erinnerungen und Ge- danken aber häufig wiederkehren, kann man im Lauf einiger Jah- re sehr viele Informationen über sich zusammenstellen, wenn man jeden Tag nur eine kurze Zeit für das Aufschreiben ier eigenen Gedanken aufwendet. Wer das tun will, braucht nicht zum Schriftsteller geboren zu sein. Es kommt nicht auf die Schönheit oder die Klarheit des Textes an. Man braucht nicht einmal alle Gedanken durch Worte zu be- schreiben. Zeichnungen sind ebenso gut und z.B. zur Darstellung von bildlichen Vorstellungen häufig besser geeignet. Eine große Menge stichwortartig oder in Skizzen notierter Gedanken sind für die Ärzte der Zukunft eine hervorragende Informationsquelle, weil sie mit ihren hochentwickelten Analysecomputern das Wesentliche auch einer Darstellung entnehmen können, die heute verworren erscheint. Deshalb ist es auch sinnvoll, wenn man etwas nur fühlt, aber es nicht erklären kann, alles zu notieren, was damit zusammenhängt. Das gibt den Ärzten der Zukunft mit ihrem genauen Wissen über das Gehirn wahrscheinlich Informationen über das Unbewußte. Nach Ansicht der Hirnforscher ist es übrigens nicht der große Un- bekannte in uns, sondern die von der rechten Hirnhälfte hervorge- brachte nicht-verbale Komponente unseres Geistes (1). Obwohl es schwierig ist, ihre Aktivität mit Worten zu beschreiben, können wir sie deutlich fühlen. Auf der rechten Hirnhälfte beruhen die bildlichen Vorstellungen, die sich umrißartig, z.B. durch Zeich- nungen festhalten lassen (2). Für die spätere Wiedererweckung sind auch Tagebücher nützlich, die die wichtigen Ereignisse, die Empfindungen und die Gefühle, die Überlegungen bei Entscheidungen, die Gewohnheiten, den Ablauf möglichst vieler Tage, die Familie, die Verwandten und die Bekannten beschreiben. Angaben Liber fehlende Zeiträume kön- nen aus der Erinnerung ergänzt werden. Auch hierbei ist eine gute Formulierung nicht erforderlich. Stichworte und Skizzen genü- gen. Deshalb brauchen die Führung ausführlicher Tagebücher und das häufige Notieren von Gedanken nicht viel Zeit zu kosten. Photos, Filme und Tonbänder sind zur Wiedergabe dessen sinn- voll, was man gesehen oder gehört hat. Mit Photographien lassen 111 sich wichtige visuelle Wahrnehmungen nämlich einfacher und ge- nauer beschreiben als allein mit Worten oder Zeichnungen. Das gilt sowohl für die Gesichter der Verwandten und Bekannten als auch für den Anblick der Orte, an denen man sich häufiger auf- hält. Aufnahmen davon und von vielem anderem werden bei der späteren Wiedererweckung bei der Rekonstruktion der im Gc- dächtnis gespeicherten Bilder helfen. Weitere Auskunft über die eigene Persönlichkeit geben z.B. Pro- dukte eigener Arbeit wie Werkstücke, Manuskripte oder Compu- terprogramme; Ergebnisse von Hirnstrommessungen, medizini- schen Untersuchungen und psychologischen Tests; Notizen über Traumerlebnisse; Tagebücher und sonstige Unterlagen der Eltern aus der Zeit der eigenen Kindheit und Embryonalentwicklung (die ersten 9 Monate des Lebens im Mutterleib). Nützlich sind auch Filmaufnahmen, die Sprechweise und Bewegungsabläufe darstel- len. Auch diese werden vom Gehirn gesteuert und sind für die Per- sönlichkeit wichtig. Alle Informationen über das frühere Leben des Zeitreisenden können auf einem Mikrofilm oder anderen Datenträgern abge- speichert, beliebig oft kopiert und so praktisch für unbegrenzte Zeit erhalten werden. Das gilt auch für Tonbänder und andere Medien. Die sorgfältige Verwahrung dieser Informationen bis zui Wiedererweckung ist eine Aufgabe der Betreiber der Tiefkühlan- lagen, in denen die Gehirne der Zeitreisenden konserviert sind, Bei der Erhaltung der eigenen Aufzeichnungen ist man aber auf solche Einrichtungen nicht angewiesen. Man kann die persönli- chen Unterlagen nämlich auch jeder anderen Institution oder Per- son überlassen. Sie sollte nur bereit sein, die Informationen vor dem im Laufe der Zeit bei jedem Datenträger drohenden Unleser- lichwerden zu kopieren und später andere zu suchen, die sich dar- um kümmern. Z.ß. könnten die Informationen über das Leber der Ahnen von Generation zu Generation an die Kinder oder ar die Verwandten und deren Nachkommen weitergegeben werden. Es ist auch zweckmäßig, wenn sich die an einer späteren Wiederer- weckung Interessierten in Selbsthilfegruppen zusammenschließen die die Aufzeichnungen ihrer Mitglieder nach deren Tod aufbe- wahren. Wie schon erläutert, ist zu erwarten, daß sich der Ge danke von der Zeitreise nach und nach immer weiter verbreiten wird und immer mehr Menschen eine Wiedererweckung in der Zu kunft anstreben werden. Deshalb wird es in jeder Generation Per- 112 sonen geben, die sich um die Erhaltung der Daten von Zeitreisen- den kümmern, da sie nach dem Tod ihres ersten Körpers auf die gleiche Fürsorge für ihre eigenen Aufzeichnungen angewiesen sind. Die Aufbewahrung von Unterlagen erfordert keinen hohen Auf- wand. Auf einen Mikrofilm fotografiert, benötigen sie nur sehr wenig Platz. Außerdem bleiben Mikrofilme erfahrungsgemäß bei normalen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen von Ar- beitsräumen über Jahrzehnte unverändert, so daß sie nur in länge- ren Abständen kontrolliert und kopiert werden müssen. Fachleute erwarten sogar eine Haltbarkeit für Jahrhunderte (3). Das Kopieren von Unterlagen auf einen sehr dauerhaften Mikrofilm ist übrigens viel billiger als das Herstellen von Photokopien. 7.2 Die Wiedererweckung aufgrund von erhaltenen Informationen Es könnte vorkommen, daß in der fernen Zukunft nur noch die ausführlichen Unterlagen eines Zeitreisenden vorhanden sind, aber nicht mehr sein Gehirn. Das Risiko der Vernichtung solcher Aufzeichnungen ist nämlich erheblich kleiner als das der Zerstö- rung eines Gehirns, weil sie beliebig oft vervielfältigt werden kön- nen. Folglich bleiben sie auch dann erhalten, wenn einzelne Ko- pien verloren gehen. So sind die von einem Menschen gesammel- ten Informationen auch dann nicht ausgelöscht, wenn sein Körper und die Originale seiner Tagebücher bei einem schweren Explo- sionsunglück verbrennen und nur die an einem anderen Ort gela- gerten Kopien erhalten bleiben. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob ein Verstorbener allein aufgrund von jahrelang sorgfältig ge- führten Aufzeichnungen über sein erstes Leben wiedererveckt werden kann. Da sie sehr viele Informationen über seine Persönlichkeitseigen- schaften und die Inhalte seines Gedächtnisses liefern, werden sie eine ungefähre Rekonstruktion seiner Seeleninformation erlau- ben. Sogar das Unbewußte wird man aus ihnen erkennen können, weil die vielen darin dargestellten Gedanken ein Ergebnis der ge- samten bewußten und unbewußten Aktivität des Gehirns sind. Die 113 rekonstruierte Gehirninformation wird alle in den Unterlagen festgehaltenen Denkweisen, Erfahrungen und Erinnerungen ent- halten. Ein neuer Körper nach dem Vorbild des alten wird sich aus der nach Bildern rekonstruierten genetischen Information (vgl. 4. Ka- pitel) erschaffen lassen. Er wird jung, stark und gesund sein, aber in Aussehen und Gestalt den erhaltenen Photographien entspre- chen. Wenn aus den Tagebüchern ein dringender Wunsch nach einem schöneren Körper erkennbar ist, wird auch das verwirklicht werden können. In der fernen Zukunft wird die Erzeugung einer Seeleninforma- tion und einer genetischen Information nach den Unterlagen eines Zeitreisenden möglich sein, weil beide endlich sind und dann das dazu erforderliche genaue Wissen über unser Gehirn und unseren Körper zur Verfügung stehen wird. Schließlich ist, wie erwähnt, das menschliche Gehirn nur ein kleines Organ aus einer endlichen Anzahl von Zellen, Molekülen und Atomen, über das die Wissen- schaftler laufend neue Erkenntnisse gewinnen. Entsprechendes gilt auch für unseren Körper und unsere genetische Information. Würde nun durch die Übertragung der rekonstruierten Seelenin- formation in den neuen Körper ein neuer Mensch erschaffen oder ein Verstorbener wiedererweckt, der umfangreiche Informationen über sich hinterlassen hat? Wie schon im 4. Kapitel erläutert, wird die Identität des Individuums nicht dadurch verändert, daß es einen neuen Körper und ein neues Gehirn erhält. Wesentlich ist nur, daß seine Persönlichkeitseigenschaften, Gedankenabläufe und Erinnerungen erhalten bleiben. Diese werden zwar nach einer Wiedererweckung allein aufgrund von Unterlagen nicht mehr exakt dieselben sein, weil auch die besten Tagebücher sie nur in etwa und nicht genau beschreiben. Zu untersuchen ist jedoch die Frage, ob die Veränderungen so stark sein werden, daß der Wie- dererweckte nicht mehr er selber ist, sondern zu einem neuen Menschen wird. Seinem neuen Gehirn wurden alle in den Aufzeichnungen notier- ten Gedanken, Erfahrungen und Erinnerungen aufgeprägt. Es entspricht in allen mit einer hochentwickelteI: Wissenschaft aus den Unterlagen erkennbaren Merkmalen seinem alten. Zum Bei- spiel sind seine häufiger wiederkehrenden Erinnerungen, Ansich- ten, Vorstellungen, Phantasien, Hoffnungen und Wünsche nach seiner Wiedererweckung in etwa die gleichen wie früher, weil sie in 114 jahrelang sorgfältig geführten Aufzeichnungen ungefähr beschrie- ben sind. Es ist praktisch ausgeschlossen, daß irgendein Mensch im Verlauf mehrerer Jahre Gedanken, Gefühle und Erlebnisse hat, die auch nur annähernd mit denen übereinstimmen, welche in den ausführlichen Unterlagen eines Zeitreisenden dargestellt sind. Deshalb ist damit zu rechnen, daß dieser nach seiner Wiederer- weckung mit dem, der er früher war, viel mehr gemeinsam hat als mit jedem anderen, der jemals gelebt hat. Somit bleibt die Einzig- artigkeit seiner Persönlichkeit erhalten. Er wird nicht dadurch zu einem neuen Menschen, daß seine Per- sönlichkeitseigenschaften, Gedankenabläufe und Gedächtnisin- halte nach seiner Wiederauferstehung etwas anders sind als frü- her, weil sie in den Unterlagen nicht genau und nicht vollständig beschrieben sind. Schließlich bleiben sie auch in unserem jetzigen kurzen Dasein aufgrund neuer Erfahrungen und des Vergessens nicht einmal von einem Tag zum anderen genau gleich und sind nach einigen Jahren erheblich verändert. Bei der Rekonstruktion der Seeleninformation eines Zeitreisenden anhand von umfassenden Unterlagen werden die Neurologen der Zukunft auch die Erkenntnisse der Historiker berücksichtigen. Die Sprache und die Kultur der Länder, in denen ein Mensch ge- lebt hat, beeinflussen sein Denken und seine Persönlichkeit näm- lich sehr stark. Darüber wird man auch in der fernen Zukunft wahrscheinlich sehr genau Bescheid wissen, weil heute eine gewal- tige Menge von Filmen, Büchern, Zeitschriften und Dokumenten produziert wird, die die kommenden Generationen ohne besonde- ren Aufwand durch fortgesetztes Kopieren bewahren können. So kennen wir heute auch die Sprache und die Kultur der alten Grie- chen und Römer ziemlich gut, weil zahlreiche Schriften von ihnen durch wiederholtes Kopieren erhalten wurden, obwohl sie dazu früher mühsam abgeschrieben werden mußten. Der nur aufgrund von Unterlagen wiedererweckte Mensch wird sich in keiner Weise unvollkommen fühlen, weil die Ärzte der Zu- kunft bei der Rekonstruktion seiner Seeleninformation alles er- gänzen werden, was aus den Aufzeichnungen nicht hervorgeht. Dabei bestehen gute Aussichten, daß die Unterschiede zwischen der neuen und der alten Gehirninformation nicht sehr erheblich sein werden, weil umfangreiche Unterlagen und die genauen Kenntnisse der dann weit fortgeschrittenen Wissenschaft über das menschliche Gehirn und die gegenwärtigen Lebensumstände die 115 Vervollständigungen ziemlich genau festlegen werden. Z.B. wer- den die Erinnerungen des Wiedererweckten an sein früheres Leben in etwa denen gleichen, die er tatsächlich hatte, da sie in umfassenden Aufzeichnungen ungefähr beschrieben sind und die Historiker der Zukunft sehr vieles über die heutige Zeit wissen werden. Nach seiner Wiederauferstehung wird er sich fühlen, als wäre er nach einer Operation aufgewacht, die alle Krankheiten und Altersbeschwerden beseitigt hat. Auch seine einstigen Leiden sind ja in den Tagebüchern dargestellt. Nach Prüfung aller Argumente muß jeder für sich allein entschei- den, ob er eine Wiedererweckung nur aufgrund von Unterlagen für erstrebenswert hält. Auf den Rat von anderen kann er sich da- bei nicht verlassen, weil viele Menschen, wie schon erläutert auch Ärzte und Wissenschaftler, häufig neuen Ideen gegenüber wenig aufgeschlossen sind und dazu neigen, sie falsch zu beurteilen. Wer ausführliche Aufzeichnungen über sein Leben anfertigt, kann hoffen, daß die Menschen der Zukunft ihn auch dann wiederer- wecken werden, wenn nur seine Unterlagen, aber nicht sein Ge- hirn erhalten bleiben. Dazu werden sie sich wahrscheinlich ethisch verpflichtet fühlen. Schließlich ist es nicht seine Schuld, wenn sein Gehirn aufgrund unglücklicher Umstände verloren geht. Deshalb werden sie ihn wohl nicht schlechter behandeln als die Zeitreisen- den, deren Gehirn erhalten blieb. Die Ärzte der Zukunft werden für seine Wiedererweckung seine Seeleninformation so genau rekonstruieren, wie es nach den Un- terlagen möglich ist. Dabei werden sie nichts verändern, weil ihre Gesellschaft voraussichtlich Leben und Freiheit des einzelnen sehr hoch achten und eine Manipulation von Gedanken durch andere nicht zulassen wird, wie im nächsten Kapitel näher erläutert wird. Aus demselben Grund wird man auch auf die Herstellung von syn- thetischen Menschen für bestimmte Zwecke, z.B. von gefügigen Arbeitssklaven für die Industriebetriebe, verzichten, obwohl so etwas dann technisch möglich wäre. Trotz allem werden manche einwenden, bei einer Wiedererwek- kung allein aufgrund von Unterlagen seien der Manipulation Tür und Tor geöffnet, weil sich kein Zeitreisender gegen eine Verfäl- schung seiner Aufzeichnungen schützen könnte. Wer nicht sehr reich oder prominent ist, braucht sich davor jedoch nicht zu fürchten, weil kaum jemand ein Interesse haben dürfte, seine Ta- gebücher zu verändern. Außerdem wird es mit den in der Zukunft 116 verfügbaren Techniken häufig möglich sein, sogar gute Fälschun- gen von richtig erhaltenen Kopien zu unterscheiden. Allerdings ist es denkbar, daß man Menschen wiedererwecken wird, die vor unserer Zeit gelebt und an eine solche Möglichkeit überhaupt nicht gedacht haben. Goethe etwa hat viele Aufzeich- nungen hinterlassen. Auch über seine Umgebung und die Zeit- umstände, in denen er lebte, ist noch ziemlich Genaues bekannt. Falls aus seinen aufgeschriebenen Gedanken erkennbar ist, daß er eine solche Wiederauferstehung gewünscht hätte, wird er viel- leicht wiedererweckt werden. Andernfalls wird man ihn wohl ru- hen lassen, weil die Gesellschaft der Zukunft wahrscheinlich jede Entscheidung eines einzelnen respektieren wird, solange er ande- ren keinen Schaden zufügt. Aus dem bisher Gesagten folgt, daß man die Sammlung von aus- führlichen Unterlagen als eine zusätzliche Möglichkeit zur Über- windung des Todes betrachten kann. Wer aufgrund seiner umfas- senden Aufzeichnungen wiedererweckt wird, gewinnt ebenso wie die im Tiefkühlschlaf Zeitreisenden die Unsterblichkeit und ein schöneres Leben in einer neuen besseren Welt der Zukunft. Darauf können auch diejenigen hoffen, die erst in höherem Alter oder im Wissen von unheilbarer Krankheit mit der Sammlung von Informationen über ihr Leben beginnen und dafür noch mehrere Jahre Zeit haben. Da, wie schon gesagt, wichtige Erinnerungen und die Grundmuster des Denkens häufiger wiederkehren, braucht man nicht als Jugendlicher mit der Führung von Tagebü- chern angefangen zu haben, wenn man seine Persönlichkeit unge- fähr beschreiben will. Schließlich kann man die wichtigen Erfah- rungen aus den früheren Jahren später meistens noch ziemlich ge- nau aus der Erinnerung schildern. Persönlichkeitseigenschaften, die z.B. in der Kindheit von nicht bewußt im Gedächtnis behalte- nen Einflüssen geprägt wurden, werden die Neurologen der Zu- kunft aus den vielen in den Unterlagen dargestellten Gedanken er- kennen können. Diese sind nämlich, wie schon gesagt, ein Ergeb- nis der gesamten bewußten und unbewußten Aktivität des Ge- hirns. Obwohl das häufige Aufschreiben der Gedanken nicht viel Zeit zu kosten braucht, dürften manche das als zu mühsam oder sogar als psychisch belastend empfinden. Für andere wird es nicht möglich sein, weil sie schwerwiegende Nachteile befürchten müssen, wenn ihre Tagebücher in falsche Hände fallen. Außerdem können nur 117 diejenigen auf eine Wiederauferstehung ohne irgendwelche Per- sönlichkeitsveränderungen hoffen, die ihr Gehirn bei extrem tie- fen Temperaturen konservieren lassen. Schließlich beschreiben auch die besten Aufzeichnungen das Denken nur in etwa und nicht vollkommen. Somit ist die Zeitreise im Tiefkühlschlaf eindeutig die bessere Möglichkeit zur Überwindung des Todes. Diejenigen, die eine spä- tere Wiedererweckung wünschen und ihr Gehirn einfrieren lassen, brauchen dafür auch nicht unbedingt Unterlagen zu sammeln. Sie haben nämlich gute Aussichten, daß ihre Seeleninformation, wie bereits öfters erwähnt, bei der Abkühlung ihres Gehirns auf ex- trem tiefe Temperaturen und während dessen langer Lagerung vollständig erhalten bleibt. Folglich stellt die Anfertigung von aus- führlichen Aufzeichnungen über das eigene Leben nur eine zusätz- liche Sicherheitsmaßnahme für den Fall dar, daß die Gehirninfor- mation nicht vollständig erhalten bleibt oder das Gehirn sogar ganz verlorengeht. 118