7. Andere Möglichkeiten
für eine Zeitreise








In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargelegt, daß sich die
Seeleninformation eines Zeitreisenden durch die Konservierung
seines Gehirns bei extrem tiefen Temperaturen schon mit heute
verfügbaren Techniken wahrscheinlich vollständig bewahren läßt.
Auch wenn das einmal nicht gelingen sollte, z.B. weil es in einer zu
langen Wartezeit zwischen dem Tod und dem Einfrieren schwere
Schäden am Gehirn gab, kann der Zeitreisende wiedererweckt
werden. Allerdings ist dann seine Persönlichkeit verändert. Wenn
die Gehirninformation zum größten Teil erhalten geblieben ist,
sind unter Umständen nur einige unwesentliche Erinnerungen
nicht mehr vorhanden. Andernfalls müssen die Ärzte der Zukunft
alle fehlenden Teile der Gehirninformation ergänzen, weil sich der
wiedererweckte Mensch sonst unvollkommen fühlen würde.

Dabei helfen dem Arzt Aufzeichnungen des Zeitreisenden über
sein früheres Leben, in denen er seine Gedanken und Erfahrungen
notiert hat. Da sie Informationen über seine Erinnerungen und
seine Persönlichkeit enthalten, werden sie unter Umständen eine
Rekonstruktion von Persönlichkeitsstrukturen und Gedächtnis-
inhalten ermöglichen, die in zerstörten ßezirken seines Gehirns ge-
speichert waren. In Zukunft wird man nämlich in schriftlichen
Unterlagen festgehaltene Gedanken, Erfahrungen und Erinnerun-
gen ebenso wie die in einem eingefrorenen Gehirn gespeicherten in
ein neues Gehirn in einem neuen Körper übertragen können, weil
dann die biochemischen Grundlagen des Denkens und des Ge-
dächtnisses genau erfoescht sein werden. Somit lassen sich feh-
lende Teile der Gehirninformation anhand von Aufzeichnungen
des Zeitreisenden ergänzen. In diesem Kapitel wird erläutert, wie
man ohne großen Zeitaufwand umfassende Unterlagen über das
eigene Leben mit möglichst vielen Informationen über seine Ge-
danken und Erinnerungen zusammenstellen kann und wie sich
diese für praktisch unbegrenzte Zeit erhalten lassen.


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Um keine Möglichkeit für eine Zeitreise und eine spätere Wieder-
auferstehung außer acht zu lassen, wird in Teil 7.2 die folgende
Frage untersucht: Kann ein Verstorbener nach entsprechenden
Fortschritten in der Wissenschaft auch dadurch wiedererweckt
werden, daß seine in ausführlichen Aufzeichnungen notierten Ge-
danken, Erfahrungen und Erinnerungen in einen neu erschaffe-
nen Körper übertragen werden? Obwohl man es zunächst nicht er-
wartet, zeigt sich nach einigen Überlegungen, daß das möglich ist.
Bei einer solchen Wiedererweckung allein aufgrund von Unterla-
gen geht die Einzigartigkeit der Persönlichkeit nicht verloren. Wie
in Abschnitt 7.2 begründet wird, gilt das auch dann, wenn mit der
Anfertigung von ausführlichen Aufzeichnungen erst in höherem
Alter oder im Wissen von unheilbarer Krankheit begonnen wurde
und dafür noch mehrere Jahre zur Verfügung standen. Somit
kann man die Sammlung umfassender Informationen über das
eigene Leben als eine zusätzliche Möglichkeit zur Überwindung
des Todes betrachten (vgl. Übersichtsdiagramm).

Gegenwart:      Anfertigung von umfassenden Aufzeichnun-
                gen mit möglichst vielen Informationen über
                die eigene Persönlichkeit, die eigenen Erin-
                nerungen und Erfahrungen
kommende
Jahrhunderte:   Erhaltung der Aufzeichnungen

Zukunft:        Wiedererweckung (Erschaffung eines neuen
                Körpers. Dabei werden dem neuen Gehirn
                die aus den Aufzeichnungen erkennbaren
                Persönlichkeitseigenschaften, Erinnerungen
                und Erfahrungen aufgeprägt.)

Übersichtsdiagramm zu Kapitel 7




7.1 Die Sammlung von Informationen über
das eigene Leben




Wenn man Informationen über sein Leben und seine Persönlich-
keit sammeln will, ist es sinnvoll, möglichst oft das aufzuschrei-
ben, was man gerade gedacht hat, und dabei seine jeweils in den


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5inn kommenden Erinnerungen, Ansichten, Vorstellungen, Phan-
tasien, Hoffnungen, Wünsche, Sorgen und Ängste zu schildern.
Iiemand ist imstande, sich ständig mit der Anfertigung solcher
Aufzeichnungen zu befassen. Da wichtige Erinnerungen und Ge-
danken aber häufig wiederkehren, kann man im Lauf einiger Jah-
re sehr viele Informationen über sich zusammenstellen, wenn man
jeden Tag nur eine kurze Zeit für das Aufschreiben ier eigenen
Gedanken aufwendet.

Wer das tun will, braucht nicht zum Schriftsteller geboren zu sein.
Es kommt nicht auf die Schönheit oder die Klarheit des Textes an.
Man braucht nicht einmal alle Gedanken durch Worte zu be-
schreiben. Zeichnungen sind ebenso gut und z.B. zur Darstellung
von bildlichen Vorstellungen häufig besser geeignet. Eine große
Menge stichwortartig oder in Skizzen notierter Gedanken sind für
die Ärzte der Zukunft eine hervorragende Informationsquelle,
weil sie mit ihren hochentwickelten Analysecomputern das
Wesentliche auch einer Darstellung entnehmen können, die heute
verworren erscheint.

Deshalb ist es auch sinnvoll, wenn man etwas nur fühlt, aber es
nicht erklären kann, alles zu notieren, was damit zusammenhängt.
Das gibt den Ärzten der Zukunft mit ihrem genauen Wissen über
das Gehirn wahrscheinlich Informationen über das Unbewußte.
Nach Ansicht der Hirnforscher ist es übrigens nicht der große Un-
bekannte in uns, sondern die von der rechten Hirnhälfte hervorge-
brachte nicht-verbale Komponente unseres Geistes (1). Obwohl es
schwierig ist, ihre Aktivität mit Worten zu beschreiben, können
wir sie deutlich fühlen. Auf der rechten Hirnhälfte beruhen die
bildlichen Vorstellungen, die sich umrißartig, z.B. durch Zeich-
nungen festhalten lassen (2).

Für die spätere Wiedererweckung sind auch Tagebücher nützlich,
die die wichtigen Ereignisse, die Empfindungen und die Gefühle,
die Überlegungen bei Entscheidungen, die Gewohnheiten, den
Ablauf möglichst vieler Tage, die Familie, die Verwandten und die
Bekannten beschreiben. Angaben Liber fehlende Zeiträume kön-
nen aus der Erinnerung ergänzt werden. Auch hierbei ist eine gute
Formulierung nicht erforderlich. Stichworte und Skizzen genü-
gen. Deshalb brauchen die Führung ausführlicher Tagebücher und
das häufige Notieren von Gedanken nicht viel Zeit zu kosten.

Photos, Filme und Tonbänder sind zur Wiedergabe dessen sinn-
voll, was man gesehen oder gehört hat. Mit Photographien lassen


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sich wichtige visuelle Wahrnehmungen nämlich einfacher und ge-
nauer beschreiben als allein mit Worten oder Zeichnungen. Das
gilt sowohl für die Gesichter der Verwandten und Bekannten als
auch für den Anblick der Orte, an denen man sich häufiger auf-
hält. Aufnahmen davon und von vielem anderem werden bei der
späteren Wiedererweckung bei der Rekonstruktion der im Gc-
dächtnis gespeicherten Bilder helfen.

Weitere Auskunft über die eigene Persönlichkeit geben z.B. Pro-
dukte eigener Arbeit wie Werkstücke, Manuskripte oder Compu-
terprogramme; Ergebnisse von Hirnstrommessungen, medizini-
schen Untersuchungen und psychologischen Tests; Notizen über
Traumerlebnisse; Tagebücher und sonstige Unterlagen der Eltern
aus der Zeit der eigenen Kindheit und Embryonalentwicklung (die
ersten 9 Monate des Lebens im Mutterleib). Nützlich sind auch
Filmaufnahmen, die Sprechweise und Bewegungsabläufe darstel-
len. Auch diese werden vom Gehirn gesteuert und sind für die Per-
sönlichkeit wichtig.

Alle Informationen über das frühere Leben des Zeitreisenden
können auf einem Mikrofilm oder anderen Datenträgern abge-
speichert, beliebig oft kopiert und so praktisch für unbegrenzte
Zeit erhalten werden. Das gilt auch für Tonbänder und andere
Medien. Die sorgfältige Verwahrung dieser Informationen bis zui
Wiedererweckung ist eine Aufgabe der Betreiber der Tiefkühlan-
lagen, in denen die Gehirne der Zeitreisenden konserviert sind,
Bei der Erhaltung der eigenen Aufzeichnungen ist man aber auf
solche Einrichtungen nicht angewiesen. Man kann die persönli-
chen Unterlagen nämlich auch jeder anderen Institution oder Per-
son überlassen. Sie sollte nur bereit sein, die Informationen vor
dem im Laufe der Zeit bei jedem Datenträger drohenden Unleser-
lichwerden zu kopieren und später andere zu suchen, die sich dar-
um kümmern. Z.ß. könnten die Informationen über das Leber
der Ahnen von Generation zu Generation an die Kinder oder ar
die Verwandten und deren Nachkommen weitergegeben werden.

Es ist auch zweckmäßig, wenn sich die an einer späteren Wiederer-
weckung Interessierten in Selbsthilfegruppen zusammenschließen
die die Aufzeichnungen ihrer Mitglieder nach deren Tod aufbe-
wahren. Wie schon erläutert, ist zu erwarten, daß sich der Ge
danke von der Zeitreise nach und nach immer weiter verbreiten
wird und immer mehr Menschen eine Wiedererweckung in der Zu
kunft anstreben werden. Deshalb wird es in jeder Generation Per-


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sonen geben, die sich um die Erhaltung der Daten von Zeitreisen-
den kümmern, da sie nach dem Tod ihres ersten Körpers auf die
gleiche Fürsorge für ihre eigenen Aufzeichnungen angewiesen
sind.

Die Aufbewahrung von Unterlagen erfordert keinen hohen Auf-
wand. Auf einen Mikrofilm fotografiert, benötigen sie nur sehr
wenig Platz. Außerdem bleiben Mikrofilme erfahrungsgemäß bei
normalen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen von Ar-
beitsräumen über Jahrzehnte unverändert, so daß sie nur in länge-
ren Abständen kontrolliert und kopiert werden müssen. Fachleute
erwarten sogar eine Haltbarkeit für Jahrhunderte (3). Das Kopieren
von Unterlagen auf einen sehr dauerhaften Mikrofilm ist übrigens
viel billiger als das Herstellen von Photokopien.




7.2 Die Wiedererweckung
aufgrund von erhaltenen Informationen




Es könnte vorkommen, daß in der fernen Zukunft nur noch die
ausführlichen Unterlagen eines Zeitreisenden vorhanden sind,
aber nicht mehr sein Gehirn. Das Risiko der Vernichtung solcher
Aufzeichnungen ist nämlich erheblich kleiner als das der Zerstö-
rung eines Gehirns, weil sie beliebig oft vervielfältigt werden kön-
nen. Folglich bleiben sie auch dann erhalten, wenn einzelne Ko-
pien verloren gehen. So sind die von einem Menschen gesammel-
ten Informationen auch dann nicht ausgelöscht, wenn sein Körper
und die Originale seiner Tagebücher bei einem schweren Explo-
sionsunglück verbrennen und nur die an einem anderen Ort gela-
gerten Kopien erhalten bleiben. Deshalb drängt sich die Frage auf,
ob ein Verstorbener allein aufgrund von jahrelang sorgfältig ge-
führten Aufzeichnungen über sein erstes Leben wiedererveckt
werden kann.

Da sie sehr viele Informationen über seine Persönlichkeitseigen-
schaften und die Inhalte seines Gedächtnisses liefern, werden sie
eine ungefähre Rekonstruktion seiner Seeleninformation erlau-
ben. Sogar das Unbewußte wird man aus ihnen erkennen können,
weil die vielen darin dargestellten Gedanken ein Ergebnis der ge-
samten bewußten und unbewußten Aktivität des Gehirns sind. Die


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rekonstruierte Gehirninformation wird alle in den Unterlagen
festgehaltenen Denkweisen, Erfahrungen und Erinnerungen ent-
halten.

Ein neuer Körper nach dem Vorbild des alten wird sich aus der
nach Bildern rekonstruierten genetischen Information (vgl. 4. Ka-
pitel) erschaffen lassen. Er wird jung, stark und gesund sein, aber
in Aussehen und Gestalt den erhaltenen Photographien entspre-
chen. Wenn aus den Tagebüchern ein dringender Wunsch nach
einem schöneren Körper erkennbar ist, wird auch das verwirklicht
werden können.

In der fernen Zukunft wird die Erzeugung einer Seeleninforma-
tion und einer genetischen Information nach den Unterlagen eines
Zeitreisenden möglich sein, weil beide endlich sind und dann das
dazu erforderliche genaue Wissen über unser Gehirn und unseren
Körper zur Verfügung stehen wird. Schließlich ist, wie erwähnt,
das menschliche Gehirn nur ein kleines Organ aus einer endlichen
Anzahl von Zellen, Molekülen und Atomen, über das die Wissen-
schaftler laufend neue Erkenntnisse gewinnen. Entsprechendes
gilt auch für unseren Körper und unsere genetische Information.

Würde nun durch die Übertragung der rekonstruierten Seelenin-
formation in den neuen Körper ein neuer Mensch erschaffen oder
ein Verstorbener wiedererweckt, der umfangreiche Informationen
über sich hinterlassen hat? Wie schon im 4. Kapitel erläutert, wird
die Identität des Individuums nicht dadurch verändert, daß es
einen neuen Körper und ein neues Gehirn erhält. Wesentlich ist
nur, daß seine Persönlichkeitseigenschaften, Gedankenabläufe
und Erinnerungen erhalten bleiben. Diese werden zwar nach einer
Wiedererweckung allein aufgrund von Unterlagen nicht mehr
exakt dieselben sein, weil auch die besten Tagebücher sie nur in
etwa und nicht genau beschreiben. Zu untersuchen ist jedoch die
Frage, ob die Veränderungen so stark sein werden, daß der Wie-
dererweckte nicht mehr er selber ist, sondern zu einem neuen
Menschen wird.

Seinem neuen Gehirn wurden alle in den Aufzeichnungen notier-
ten Gedanken, Erfahrungen und Erinnerungen aufgeprägt. Es
entspricht in allen mit einer hochentwickelteI: Wissenschaft aus
den Unterlagen erkennbaren Merkmalen seinem alten. Zum Bei-
spiel sind seine häufiger wiederkehrenden Erinnerungen, Ansich-
ten, Vorstellungen, Phantasien, Hoffnungen und Wünsche nach
seiner Wiedererweckung in etwa die gleichen wie früher, weil sie in


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jahrelang sorgfältig geführten Aufzeichnungen ungefähr beschrie-
ben sind. Es ist praktisch ausgeschlossen, daß irgendein Mensch
im Verlauf mehrerer Jahre Gedanken, Gefühle und Erlebnisse
hat, die auch nur annähernd mit denen übereinstimmen, welche in
den ausführlichen Unterlagen eines Zeitreisenden dargestellt sind.
Deshalb ist damit zu rechnen, daß dieser nach seiner Wiederer-
weckung mit dem, der er früher war, viel mehr gemeinsam hat als
mit jedem anderen, der jemals gelebt hat. Somit bleibt die Einzig-
artigkeit seiner Persönlichkeit erhalten.

Er wird nicht dadurch zu einem neuen Menschen, daß seine Per-
sönlichkeitseigenschaften, Gedankenabläufe und Gedächtnisin-
halte nach seiner Wiederauferstehung etwas anders sind als frü-
her, weil sie in den Unterlagen nicht genau und nicht vollständig
beschrieben sind. Schließlich bleiben sie auch in unserem jetzigen
kurzen Dasein aufgrund neuer Erfahrungen und des Vergessens
nicht einmal von einem Tag zum anderen genau gleich und sind
nach einigen Jahren erheblich verändert.

Bei der Rekonstruktion der Seeleninformation eines Zeitreisenden
anhand von umfassenden Unterlagen werden die Neurologen der
Zukunft auch die Erkenntnisse der Historiker berücksichtigen.
Die Sprache und die Kultur der Länder, in denen ein Mensch ge-
lebt hat, beeinflussen sein Denken und seine Persönlichkeit näm-
lich sehr stark. Darüber wird man auch in der fernen Zukunft
wahrscheinlich sehr genau Bescheid wissen, weil heute eine gewal-
tige Menge von Filmen, Büchern, Zeitschriften und Dokumenten
produziert wird, die die kommenden Generationen ohne besonde-
ren Aufwand durch fortgesetztes Kopieren bewahren können. So
kennen wir heute auch die Sprache und die Kultur der alten Grie-
chen und Römer ziemlich gut, weil zahlreiche Schriften von ihnen
durch wiederholtes Kopieren erhalten wurden, obwohl sie dazu
früher mühsam abgeschrieben werden mußten.

Der nur aufgrund von Unterlagen wiedererweckte Mensch wird
sich in keiner Weise unvollkommen fühlen, weil die Ärzte der Zu-
kunft bei der Rekonstruktion seiner Seeleninformation alles er-
gänzen werden, was aus den Aufzeichnungen nicht hervorgeht.
Dabei bestehen gute Aussichten, daß die Unterschiede zwischen
der neuen und der alten Gehirninformation nicht sehr erheblich
sein werden, weil umfangreiche Unterlagen und die genauen
Kenntnisse der dann weit fortgeschrittenen Wissenschaft über das
menschliche Gehirn und die gegenwärtigen Lebensumstände die


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Vervollständigungen ziemlich genau festlegen werden. Z.B. wer-
den die Erinnerungen des Wiedererweckten an sein früheres
Leben in etwa denen gleichen, die er tatsächlich hatte, da sie in
umfassenden Aufzeichnungen ungefähr beschrieben sind und die
Historiker der Zukunft sehr vieles über die heutige Zeit wissen
werden. Nach seiner Wiederauferstehung wird er sich fühlen, als
wäre er nach einer Operation aufgewacht, die alle Krankheiten
und Altersbeschwerden beseitigt hat. Auch seine einstigen Leiden
sind ja in den Tagebüchern dargestellt.

Nach Prüfung aller Argumente muß jeder für sich allein entschei-
den, ob er eine Wiedererweckung nur aufgrund von Unterlagen
für erstrebenswert hält. Auf den Rat von anderen kann er sich da-
bei nicht verlassen, weil viele Menschen, wie schon erläutert auch
Ärzte und Wissenschaftler, häufig neuen Ideen gegenüber wenig
aufgeschlossen sind und dazu neigen, sie falsch zu beurteilen. Wer
ausführliche Aufzeichnungen über sein Leben anfertigt, kann
hoffen, daß die Menschen der Zukunft ihn auch dann wiederer-
wecken werden, wenn nur seine Unterlagen, aber nicht sein Ge-
hirn erhalten bleiben. Dazu werden sie sich wahrscheinlich ethisch
verpflichtet fühlen. Schließlich ist es nicht seine Schuld, wenn sein
Gehirn aufgrund unglücklicher Umstände verloren geht. Deshalb
werden sie ihn wohl nicht schlechter behandeln als die Zeitreisen-
den, deren Gehirn erhalten blieb.

Die Ärzte der Zukunft werden für seine Wiedererweckung seine
Seeleninformation so genau rekonstruieren, wie es nach den Un-
terlagen möglich ist. Dabei werden sie nichts verändern, weil ihre
Gesellschaft voraussichtlich Leben und Freiheit des einzelnen sehr
hoch achten und eine Manipulation von Gedanken durch andere
nicht zulassen wird, wie im nächsten Kapitel näher erläutert wird.
Aus demselben Grund wird man auch auf die Herstellung von syn-
thetischen Menschen für bestimmte Zwecke, z.B. von gefügigen
Arbeitssklaven für die Industriebetriebe, verzichten, obwohl so
etwas dann technisch möglich wäre.

Trotz allem werden manche einwenden, bei einer Wiedererwek-
kung allein aufgrund von Unterlagen seien der Manipulation Tür
und Tor geöffnet, weil sich kein Zeitreisender gegen eine Verfäl-
schung seiner Aufzeichnungen schützen könnte. Wer nicht sehr
reich oder prominent ist, braucht sich davor jedoch nicht zu
fürchten, weil kaum jemand ein Interesse haben dürfte, seine Ta-
gebücher zu verändern. Außerdem wird es mit den in der Zukunft


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verfügbaren Techniken häufig möglich sein, sogar gute Fälschun-
gen von richtig erhaltenen Kopien zu unterscheiden.

Allerdings ist es denkbar, daß man Menschen wiedererwecken
wird, die vor unserer Zeit gelebt und an eine solche Möglichkeit
überhaupt nicht gedacht haben. Goethe etwa hat viele Aufzeich-
nungen hinterlassen. Auch über seine Umgebung und die Zeit-
umstände, in denen er lebte, ist noch ziemlich Genaues bekannt.
Falls aus seinen aufgeschriebenen Gedanken erkennbar ist, daß er
eine solche Wiederauferstehung gewünscht hätte, wird er viel-
leicht wiedererweckt werden. Andernfalls wird man ihn wohl ru-
hen lassen, weil die Gesellschaft der Zukunft wahrscheinlich jede
Entscheidung eines einzelnen respektieren wird, solange er ande-
ren keinen Schaden zufügt.

Aus dem bisher Gesagten folgt, daß man die Sammlung von aus-
führlichen Unterlagen als eine zusätzliche Möglichkeit zur Über-
windung des Todes betrachten kann. Wer aufgrund seiner umfas-
senden Aufzeichnungen wiedererweckt wird, gewinnt ebenso wie
die im Tiefkühlschlaf Zeitreisenden die Unsterblichkeit und ein
schöneres Leben in einer neuen besseren Welt der Zukunft.

Darauf können auch diejenigen hoffen, die erst in höherem Alter
oder im Wissen von unheilbarer Krankheit mit der Sammlung von
Informationen über ihr Leben beginnen und dafür noch mehrere
Jahre Zeit haben. Da, wie schon gesagt, wichtige Erinnerungen
und die Grundmuster des Denkens häufiger wiederkehren,
braucht man nicht als Jugendlicher mit der Führung von Tagebü-
chern angefangen zu haben, wenn man seine Persönlichkeit unge-
fähr beschreiben will. Schließlich kann man die wichtigen Erfah-
rungen aus den früheren Jahren später meistens noch ziemlich ge-
nau aus der Erinnerung schildern. Persönlichkeitseigenschaften,
die z.B. in der Kindheit von nicht bewußt im Gedächtnis behalte-
nen Einflüssen geprägt wurden, werden die Neurologen der Zu-
kunft aus den vielen in den Unterlagen dargestellten Gedanken er-
kennen können. Diese sind nämlich, wie schon gesagt, ein Ergeb-
nis der gesamten bewußten und unbewußten Aktivität des Ge-
hirns.

Obwohl das häufige Aufschreiben der Gedanken nicht viel Zeit zu
kosten braucht, dürften manche das als zu mühsam oder sogar als
psychisch belastend empfinden. Für andere wird es nicht möglich
sein, weil sie schwerwiegende Nachteile befürchten müssen, wenn
ihre Tagebücher in falsche Hände fallen. Außerdem können nur


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diejenigen auf eine Wiederauferstehung ohne irgendwelche Per-
sönlichkeitsveränderungen hoffen, die ihr Gehirn bei extrem tie-
fen Temperaturen konservieren lassen. Schließlich beschreiben
auch die besten Aufzeichnungen das Denken nur in etwa und nicht
vollkommen.

Somit ist die Zeitreise im Tiefkühlschlaf eindeutig die bessere
Möglichkeit zur Überwindung des Todes. Diejenigen, die eine spä-
tere Wiedererweckung wünschen und ihr Gehirn einfrieren lassen,
brauchen dafür auch nicht unbedingt Unterlagen zu sammeln. Sie
haben nämlich gute Aussichten, daß ihre Seeleninformation, wie
bereits öfters erwähnt, bei der Abkühlung ihres Gehirns auf ex-
trem tiefe Temperaturen und während dessen langer Lagerung
vollständig erhalten bleibt. Folglich stellt die Anfertigung von aus-
führlichen Aufzeichnungen über das eigene Leben nur eine zusätz-
liche Sicherheitsmaßnahme für den Fall dar, daß die Gehirninfor-
mation nicht vollständig erhalten bleibt oder das Gehirn sogar
ganz verlorengeht.










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