4. Techniken zur Erreichung
   der Unsterblchkelt










Bisher konnten die Menschen von der Unsterblichkeit nur träu-
men. Der Jungbrunnen wurde niemals gefunden. Auch die Magie
hat nicht geholfen. Weder die Alchimisten im alten China noch die
in Europa konnten einen Zaubertrank herstellen, der das ewige
Leben brachte.


In den vergangenen Jahrhunderten ist es den Menschen aber ge-
lungen, mit Hilfe von Wissenschaft und Technik vieles zu verwirk-
lichen, was früher nur ein Traum war. Ein Beispiel dafür ist das
Fliegen. Diese Fähigkeit traute man im Altertum nur den Göttern
und einigen Helden mit magischen Kräften zu. Die Bewun.derung,
die man diesen sagenhaften Gestalten in den Mythen entgegen-
brachte, zeigt, daß das Fliegen eine uralte Wunschvorstellung der
Menschen war. Heute ist es selbstverständlich. Es gibt kleine
Flugdrachen aus Kunststoff, mit denen man nach einigem Trai-
ning frei durch die Lüfte schweben kann. Sie erfüllen den Traum,
wie ein Adler zu segeln. Große Düsenflugzeuge sind imstande, in
wenigen Stunden von Europa aus Kontinente jenseits des Atlan-
tiks zu erreichen. Von so schnellen und bequemen Reisen konnten
unsere Vorfahren im Mittelalter nur träumen. Damals überquer-
ten nur die Wikinger den Atlantik. Ihre primitiven Schiffe waren
Monate unterwegs, bevor sie Grönland und Vinland, das heutige
Nordostkanada, erreichten.


Vielleicht haben sich einige von den alten Seefahrern danach ge-
sehnt, mit den Verwandten in der Heimat sprechen zu können. So
etwas war für sie aber vollkommen unmöglich. Heute braucht
man hingegen nur zum Telefon zu greifen, wenn man mit Bekann-
ten oder Freunden auf anderen Kontinenten reden will. Man kann
sogar im Fernsehen fast jeden Tag bewegte Bilder von dort sehen.
Die systematische Erforschung der Naturgesetze und technische
Erfindungen haben den Menschen auch vieles weitere ermöglicht.


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Man denke etwa an die Konservierung von Lebensmitteln in Kühl-
schränken, den Genuß von Früchten aus fernen Ländern, das
mühelose Herstellen von Bildern mit Photoapparaten und die
automatische Ausführung von umfangreichen Berechnungen
durch Computer. In den vergangenen Jahrhunderten haben sich
wahrscheinlich viele Heilmittel gegen Cholera, Pocken, Pest, Tu-
berkulose, Lungenentzündung, Kindbettfieber, Tollwut oder Dia-
betes gewünscht. Diesen Krankheiten fielen früher Millionen von
Menschen schon in jungen Jahren zum Opfer. Heute gibt es dage-
gen wirksame Impfstoffe und Medikamente.

Was wird die kommende Zeit bringen? Wird es weitere Fortschrit-
te in Wissenschaft und Technik geben, oder wird der wissenschaft-
liche Fortschritt zum Stillstand kommen? Das letztere ist ganz un-
wahrscheinlich, weil es viele Wege gibt, etwas Neues zu entdecken.
Es ist auch nicht zu befürchten, daß die Menschen in der Zukunft
auf die weitere Erforschung des Universums und der Naturgesetze
verzichten werden, denn das würde ihrer natürlichen Neugier wi-
dersprechen. Der wissenschaftliche Fortschritt könnte also nur
dann gestoppt werden, wenn unsere Zivilisation durch eine Natur-
katastrophe zerstört würde oder sich durch einen Atomkrieg oder
totale Umweltvergiftung selbst auslöschen würde. Wie im 8. Kapi-
tel begründet wird, gibt es jedoch gute Aussichten, daß solche
Katastrophen vermieden werden können.

Folglich kann man damit rechnen, daß es auch in der Zukunft
ständig neue Entdeckungen und Erfindungen geben wird. Dieser
Fortschritt hat sich in den vergangenen Jahrhunderten sogar im-
mer mehr beschleunigt. So würden in den letzten dreißig Jahren
mehr wissenschaftliche und technologische Erkenntnisse gewon-
nen als in der gesamten bisherigen Geschichte. Es ist durchaus
möglich, daß die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts in
der Zukunft noch weiter zunehmen wird. Computer werden den
Forschern nämlich viele Routinearbeiten wie das Durchführen
von umfangreichen Berechnungen oder die Suche nach bestimm-
ten Informationen abnehmen. Somit bleibt ihnen mehr Zeit für
kreative, erfinderische Tätigkeiten. Außerdem werden aufgrund
des insgesamt verbesserten Ausbildungsstandes mehr Menschen
als früher zu neuen Entdeckungen fähig sein.

Heute wird allerdings manchmal behauptet, wir hätten den Höhe-
punkt der technischen Entwicklung erreicht. Weitere Fortschritte
seien nun nicht mehr möglich. Diese Auffassung wird vor allem


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dann geäußert, wenn es bei technischen Großprojekten zu einem
Fehlschlag kommt. So haben nach der Explosion der amerikani-
schen Raumfähre Challenger einige Berichterstatter erklärt, hier
zeigten sich die Grenzen des Fortschritts. Eine Weiterentwicklung
der Raumfahrttechnologie sei wohl nichts weiter als eine Utopie.
Dabei wird jedoch vergessen, daß in den Laboratorien überall auf
der Erde fast täglich neue Erkenntnisse gewonnen werden und daß
wissenschaftliche Entdeckungen die Eigenschaft haben, weitere
Verbesserungen in der Technik zu ermöglichen. So können z.B.
neue Entdeckungen in der Chemie und in der Physik zu neuarti-
gen Kunststoffen und Metall-Legierungen mit überlegenen Ge-
wichts- und Festigkeitseige.nschaften führen, aus denen dann lei-
stungsfähigere und zuverlässigere Raketen gebaut werden kön-
nen.

Solche Möglichkeiten werden aber in vielen Zukunftsprognosen
einfach ignoriert. Es scheint im menschlichen Denken eine ausge-
prägte Neigung zu geben, den gerade erreichten Stand der Ent-
wicklung für den höchst möglichen zu halten. Diese Einstellung ist
keineswegs ein spezielles Phänomen unserer Zeit. Sie war schon
immer vorhanden. In allen Epochen unserer Geschichte haben
sich Menschen eingebildet, sie hätten den Gipfel der Entwicklung
erreicht. Ihre Nachkommen bewiesen durch ihre Leistungen, daß
die Ansicht ihrer Vorgänger falsch war - doch dann verfielen sie
häufig in den gleichen selbstgefälligen Irrtum. So ist von frühester
Zeit an fast jeder technische Fortschritt entgegen den Behauptun-
gen, daß er unmöglich sei, erzielt worden. Stets stammten diese
Erklärungen von Leuten, die Fachleute zu sein behaupteten, und
stets erwiesen sich ihre Auffassungen als falsch. Dennoch wurden
ihre negativen Vorhersagen zu ihrer Zeit von den meisten Men-
schen durchaus ernst genommen. Um uns vor demselben Fehler
zu schützen, könnte es lehrreich sein, einmal an einigen Beispielen
zu betrachten, wie falsch auch bedeutende Männer der Vergan-
genheit die weitere Entwicklung der Technik beurteilt haben.
Einige Jahrzehnte nach Christi Geburt schrieb Julius Frontinus,
damals der führende Pionieroffizier des Römischen Reiches: "Ich
werde alle Ideen für neue Befestigungswerke und Kriegsmaschi-
nen ignorieren, deren Erfindung ihre Grenze erreicht hat und für
deren Verbesserung ich keine weitere Hoffnung sehe."(1) Man kann
davon ausgehen, daß ethische Erwägungen bei dieser Erklärung
keine Rolle gespielt haben, denn die Soldaten des Imperium


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Romanum betrachteten es als ehrenvolle Pflicht, fremde Völker
zu unterwerfen, jeden, der Widerstand leistete, zu töten und die
Überlebenden in die Sklaverei zu verkaufen. Julius Frontinus hielt
weitere Forschungen auf dem Gebiet der Kriegsmaschinen nur
deshalb für sinnlos, weil er an einigen erfolglosen Versuchen mit
neuen Geräten teilgenommen hatte und ebenso wie die meisten
seiner Zeitgenossen glaubte, die Technik hätte bereits damals den
Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht.


Ein ähnlicher Fehler unterlief auch Napoleon Bonaparte. Als er
sich in seinem Feldlager Boulogne auf die Invasion in Großbritan-
nien vorbereitete, meldete sich bei ihm ein heruntergekommener
amerikanischer Ingenieur namens Robert Fulton, der ihm erklär-
te, wie die britische Blockadeflotte besiegt werden könne. "Herr",                                                            ,
soll ihn der Kaiser ungeduldig angefahren haben, nachdem er ihm
ein paar Minuten zugehört hatte, "Sie wollen ein Schiff gegen
Wind und Strömung segeln lassen, indem Sie ein Feuer unter dem
Deck anzünden? Entschuldigen Sie! Aber ich habe keine Zeit, mir
solchen Unsinn anzuhören." Wäre er dem Rat des Mannes ge-
folgt, hätte er Großbritannien durchaus erobern können. Die er-
sten primitiven Dampfschiffe, etwa so gebaut, wie es Fulton ge-
plant hatte, tauchten bald nach Napoleons Tod auf. Doch die
Fachleute gaben ihnen keine Zukunft. "Die Menschen könnten
ebensogut erwarten, auf dem Mond herumzuwandern, wie den
Atlantik auf einem dieser Dampfschiffe zu überqueren", erklärte
der berühmte Professor Dionysius Lardner(2).

Vergleichbare Aussagen begleiteten auch die Entwicklung der.
Luftfahrt. So schrieb der große amerikanische Astronom Simon
Newcomb zu Beginn unseres Jahrhunderts einen vielbeachteten
Aufsatz, der mit den Worten schloß: "Der Beweis, daß keine
denkbare Kombination bekannter Substanzen, bekannter Moto-
rentypen und bekannter Kraftquellen zu einer praktisch verwend-
baren Maschine zu führen vermag, mit der Menschen auf große
Entfernungen durch die Luft fliegen sollen, erscheint dem Verfas-
ser so vollständig, wie es der Beweis für irgendeine physikalische
Tatsache der Zukunft nur sein kann."(3)


Newcombs Ansichten wurden damals von fast allen Wissenschaft-
lern unterstützt. Dennoch hob kurze Zeit später Orville Wrights
erstes Flugzeug, angetrieben von einem einfachen Benzinmotor, in
Kitty Hawk im amerikanischen Bundesstaat North Carolina vom
Boden ab. Zunächst wurde überhaupt nichts darüber veröffent-


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licht. Die Zeitungen weigerten sich, zu drucken, was ein Redak-
teur "diese lächerliche Geschichte" nannte. Als einige Wochen
später fest stand, daß Orville Wright tatsächlich geflogen war, er-
klärten Simon Newcomb und einige andere: "Kein Flugzeug wird
jemals das Gewicht eines Passagiers befördern können." Also
nahm Orville Wright auf dem nächsten Flug seinen Bruder Wilbur
als Passagier mit. Nach diesem Zweimannflug schrieb der Inge-
nieur Octave Chanute einen berühmten Artikel über die Zukunft
der Luftfahrt. Exemplare der Nummer des "Popular Science
monthly" (deutsch: Monatszeitschrift für Populärwissenschaft),
die diesen Aufsatz enthielt, sind heute bei Sammlern hochge-
schätzt. "Diese Maschine mag in Sonderfällen sogar Post beför-
dern", schrieb Chanute. "Doch die Nutzlast wird sehr klein sein.
Die Maschinen werden schließlich schnell sein, sie werden im
Sport benutzt werden, doch man darf in ihnen keine kommerziel-
len Beförderungsmittel sehen." (4)

Trotzdem wurde elf Jahre später, 1914, der erste kommerzielle
Passagierflugdienst zwischen zwei Städten Floridas eingerichtet.
Viele Wissenschaftler meinten dazu, man solle das Gefühl für
Maßstäbe nicht verlieren. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schrieb
der Astronom William H. Pickering: "In der Meinung des Volkes
herrscht oft die Vorstellung, künftig könnten gigantische Flugma-
schinen über den Atlantik brausen und zahllose Passagiere beför-
dern, ähnlich wie unsere modernen Dampfschiffe. . . Es scheint
mir ganz sicher, daß derartige Ideen völlig phantastisch sein müs-
sen, und selbst wenn eine Maschine mit einem oder zwei Passagie-
ren hinüberkäme, würden die Kosten das Unternehmen einem je-
den verbieten, mit Ausnahme des Großkapitalisten, der sich eine
eigene Jacht leisten kann. Und noch ein im Volk verbreiteter Irr-
tum ist zu korrigieren: die Erwartung, daß sich eine enorme Ge-
schwindigkeit erzielen lassen werde. Man muß sich erinnern, daß
der Luftwiderstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst
und die zu seiner Überwindung erforderliche Arbeit mit der drit-
ten Potenz. . . Wenn wir jetzt mit 30 Pferdestärken eine Ge-
schwindigkeit von 40 Meilen pro Stunde (ca. 65 km/h) erreichen
können, dann müßten wir, um auf 100 Meilen in der Stunde (ca.
160 km/h) zu kommen, einen Motor mit einer Leistung von
470 Pferdestärken verwenden. . . es ist klar, daß wir nicht hoffen
können, mit den uns jetzt verfügbaren Flugapparaten jemals an
rasender Schnelligkeit mit unseren Lokomotiven oder Automobi-


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len zu konkurrieren." Professor Pickering selbst hatte, als er 1938
im hohen Alter von achtzig Jahren starb, noch Gelegenheit ge-
habt, Flugzeuge zu sehen, die mit einer Geschwindigkeit von
400 Meilen in der Stunde (ca. 650 km/h) flogen Lmd erheblich
mehr Passagiere beförderten als "einen oder zwei" (5).

Es lassen sich noch viele weitere Beispiele von Vorhersagen fin-
den, in denen die zukünftige Entwicklung von Wissenschaft und
Technik drastisch Linterschätzt wurde. Im Jahre 1899 wollte der
Direktor des Patentamtes der Vereinigten Staaten seine eigene ße-
hörde auflösen, weil "alles, was erfunden werden kann, erfunden
worden ist". Dieser Mann, der von Berufs wegen für die Registrie-
rung von Erfindungen zuständig war, glaubte damals, die Technik
hätte den absoluten Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht, nur
weil er einige Jahre lang keine grundlegenden Neuerungen gesehen
hatte. Lord Rutherford, der mehr als jeder andere zur Aufklärung
der Innenstruktur des Atoms beigetragen hat, spottete oft über die
"Sensationsmacher", die prophezeiten, man werde einst die an
das Atom gebundene Energie freisetzen und nutzen können. Er
glaubte, für die Kernspaltung würde es niemals eine praktische
Verwendungsmöglichkeit geben. An diesem Irrtum hielt der große
Wissenschaftler sein ganzes Leben lang fest. Aber schon fünf Jah-
re nach seinem Tod im Jahre 1937 wurde 1942 in Chikago der erste
Atommeiler in Betrieb genommen. Viele Physiker lachten Marco-
ni, den Erfinder der drahtlosen Telegrafie aus, als er behauptete,
Funknachrichten könnten den Atlantik überqueren. Sie nahmen
an, dazu wäre ein Radioreflektor von der Größe des nordamerika-
nischen Kontinents notwendig (6).

Ich habe diese Anekdoten nicht erzählt, um Männer lächerlich zu
machen, von denen einige, von diesen Verirrungen abgesehen,
wichtige ßeiträge zu unserem Wissen und unserer Zivilisation ge-
leistet haben. Die Tatsache, daß ihre negativen Vorhersagen falsch
waren, sollte uns aber mahnen, ähnliche Erklärungen, die heute
von Experten abgegeben werden, nicht einfach unkritisch hinzu-
nehmen.


Auch auf längere Sicht gibt es keinen Grund, weshalb die Fort-
schritte der Wissenschaft aufhören oder langsamer werden soll-
ten. Die wissenschaftlichen Entdeckungen haben nämlich die Ei-
genschaft, die Macht der Technik immer weiter zu vergrößern,
und diese wiederum versieht die Wissenschaftler mit immer wirk-


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sameren Werkzeugen. So unterstützen Wissenschaft und Technik
sich gegenseitig, und ihr Aufstieg kann sich nur beschleunigen.
Die Entwicklung der Technologie ist dabei allerdings kein gleich-
mäßig fortschreitender Prozeß. Ebenso wie in der Vergangenheit
wird es wohl auch in der Zukunft Perioden ohne spektakuläre
Veränderungen leben, in denen erst neue wissenschaftliche Er-
kenntnisse gesammelt werden müssen, ehe die Technik die näch-
sten großen Fortschritte machen kann. Da es aber nahezu unend-
lich viele Möglichkeiten gibt, etwas Neues zu entdecken, wird es
niemals ein Ende der Entwicklung geben. Vielmehr werden Wis-
senschaft und Technik von Jahrhundert zu Jahrhundert immer
weiter fortschreiten.

So drängt sich die Frage auf, ob diese Fortschritte es den Men-
schen ermöglichen werden, früher oder später auch den uralten
Traum von der Unsterblichkeit zu verwirklichen. Auf den ersten
Blick scheint es dabei ein unüberwindliches Hindernis zu geben.
Es ist zwar denkbar, daß es in der Zukunft gelingen wird, Medi-
kamente zu entwickeln, die den Alterungsprozeß verlangsamen
oder ihn sogar stoppen. So könnten die Menschen ein unbegrenz-
tes Leben und eine physische Unsterblichkeit gewinnen. Wie aber
soll man den unfreiwilligen Tod durch plötzliche Unfälle verhin-
dern? Werden die physisch Unsterblichen auf Reisen verzichten,
um nicht bei einem Autounfall oder bei einem Flugzeugabsturz
ums Leben zu kommen? Werden sie sich übervorsichtig verhalten,
weil sie bei einem Unfall mehr als nur einige Jahrzehnte zu verlie-
ren haben? Werden sie versuchen, ihre Welt gegen alle denkbaren
Risiken abzusichern? Das ist nicht anzunehmen, denn dann wür-
den sie die Unsterblichkeit mit einem Verlust an Lebensfreude er-
kaufen. Werden Sie also die Möglichkeit, bei einem schweren Un-
fall zu sterben, als unvermeidliches Schicksal akzeptieren? Viel-
Ieicht werden einige das tun. Andere werden dazu nicht bereit
sein, denn der Tod eines Menschen wird immer ein schreckliches
Ereignis bleiben.

Wie schon in Abschnitt 3.2 erläutert, deuten aber alle Erkenntnis-
se der Naturwissenschaften darauf hin, daß der menschliche
Geist, das Bewußtsein, die individuelle Persönlichkeit und die See-
le Organfunktionen des Gehirns sind. Folglich kann unsere Seele
ohne einen Körper nicht existieren. Ist das individuelle Bewußt-
sein also unwiederbringlich verloren, wenn der Körper und das
Gehirn durch einen Unfall oder eine Krankheit zerstört werden?


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Oder könnte das ßewußtsein mit einer fortgeschrittenen Technik
in einen neuen Körper übertragen werden, damit der Mensch wei-
terleben kann? Dazu müßte ein Verfahren entwickelt werden, alle
im Gehirn eines Menschen gespeicherten Persönlichkeitseigen-
schaften, Erfahrungen und Erinnerungen aufzuzeichnen und die-
se Gehirninformation in das Gehirn eines neu erschaffenen Kör-
pers zu übertragen. Wenn dann jemand z.B. bei einem Unfall ster-
ben sollte, könnte er wiedererweckt werden. Dazu müßte für ihn
ein neuer junger und gesunder Körper erschaffen und seine
Gehirninformation in das neue Gehirn übertragen werden. Nach
einer solchen Seelenübertragung wären seine Persönlichkeit und
sein Gedächtnis nicht verändert. Seine Erinnerungen, Gedanken-
abläufe, Ansichten, Vorstellungen, Empfindungen, Gefühle,
Hoffnungen, Sorgen und Wünsche wären die gleichen geblieben.
Er selbst würde also in seinem neuen Körper weiterleben. Sein
eigenes Ich mit all seinen Erfahrungen und Erinnerungen wäre
wiederauferstanden.

Betrachten wir dieses Verfahren jetzt etwas genauer: Dafür muß
zunächst eine dauerhafte Aufzeichnung aller Informationen über
das Gehirn erstellt werden. Diese Gehirninformation bleibt erhal-
ten, auch wenn der Körper später stirbt. Und beschreibt sowohl
die für die individuellen Gedankenabläufe, Empfindungen, Ge-
fühle und die gesamte Persönlichkeit wichtigen Eigenschaften des
Gehirns als auch den vollständigen Inhalt des Gedächtnisses. Sie
kann auch Persönlichkeits- oder Seeleninformation, ihre Auf-
zeichnung Seelenaufzeichnung genannt werden. Alle Persönlich-
keitseigenschaften, Erfahrungen und Erinnerungen eines Men-
schen werden in einer Aufzeichnung seiner Seeleninformation
festgehalten.

Zudem ist ein neuer junger und gesunder Körper nach dem Vor-
bild des alten zu erschaffen. Die Grundlage dafür bildet die geneti-
sche (Erb)information: Diese ist durch die Chromosomen in den
Zellkernen der Körperzellen verschlüsselt und beschreibt alle erb-
lichen Merkmale eines Individuums. Mit einem Verfahren, das die
Biologen als Kloning bezeichnen, läßt sich aus der genetischen In-
formation in einer Körperzelle eines Lebewesens ein neuer biolo-
gisch identischer Organismus mit gleichen erblichen Eigenschaf-
ten erzeugen (nähere Erläuterungen folgen in Abschnitt 4.2). Da-
bei macht man sich die Tatsache zunutze, daß in jeder einzelnen
Körperzelle der Tiere und ebenso der Menschen ihre vollständige


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genetische Information vorhanden ist und diese einen kompletten
Bauplan ihres gesamten Körpers enthält. Sie steuert nämlich ihre
Entwicklung aus einer einzigen Eizelle. Bei der Erschaffung des
neuen Körpers aus der genetischen Information muß dessen Ge-
hirn in genau den Zustand versetzt werden, in dem das alte zur
Zeit der Aufzeichnung war. Dieser Vorgang heißt auch Übertra-
gung der Gehirninformation oder Seelenübertragung.

Dadurch wird der Mensch, dessen Gehirninformation aufgezeich-
net wurde, wieder zum Leben erweckt. Seine bewußten und unbe-
wußten Gedächtnisinhalte, Gedankenabläufe, Empfindungen,
Gefühle und seine gesamte Persönlichkeit sind unverändert, weil
alle dafür wesentlichen Eigenschaften seines neuen Gehirns genau
denen seines alten entsprechen. Sein neuer Körper gleicht dem al-
ten in seiner besten Zeit, wie sich die Körper zweier eineiiger Zwil-
linge gleichen, deren genetische Information ebenfalls identisch
ist.

Die Identität des Individuums wird nicht dadurch verändert {d.h.
der Mensch wird nicht dadurch ein anderer), daß er ein neues Ge-
hirn und einen neuen Körper erhält. Auch in einem normalen Le-
ben, wie wir es heute kennen, werden viele Moleküle des Gehirns
und des Körpers ständig durch Stoffwechselvorgänge erneuert, so
daß wir allmählich materiell zu neuen Personen werden. Zusätzli-
che Umformungen erfolgen durch Krankheiten, das Altern und
medizinische Behandlungen, z.B. Organtransplantationen. Somit
ist der Austausch einzelner Moleküle, Organe und auch des gan-
zen Körpers für die Identität des Individuums unwichtig. Wesent-
lich sind dafür die individuellen Gedankenabläufe, die Persönlich-
keitseigenschaften und die Inhalte des Gedächtnisses. Das alles
wird durch die Seelenaufzeichnung und -übertragung nicht verän-
dert.

Heute mögen die Gedanken darüber noch utopisch anmuten.
Schließlich müssen dafür sämtliche für die Persönlichkeit eines
Menschen wichtigen Eigenschaften seines Gehirns ermittelt wer-
den. Dazu gehören auch alle bewußten und unbewußten Inhalte
seines Gedächtnisses. Jedes Gehirn enthält aber nur endlich viele
Informationen, da es nur aus endlich vielen Zellen, Molekülen
und Atomen besteht. Aus dieser Endlichkeit der Gehirninforma-
tion folgt, daß die Seelenaufzeichnung und die Seelenübertragung
nach den Naturgesetzen prinzipiell möglich sind.


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Die Aufzeichnung der Gehirninformation erfordert nämlich nur
die Erstellung einer vollständigen Beschreibung des endlichen Ob-
jekts Gehirn. Dabei wird die gesamte Persönlichkeit eines Indivi-
duums - einschließlich aller Inhalte seines Gedächtnisses-
durch die dafür wesentlichen Merkmale seines Gehirns beschrie-
ben. Das ist möglich, weil der Geist eine Organfunktion des Ge-
hirns ist. Auch der emotionale Gehalt von Erinnerungen läßt sich
so ausdrücken, weil die Gefühle ebenso wie das logische Denken
eine biochemische Grundlage haben.

Für die Übertragung der Gehirninformation muß ein neuer Kör-
per aus der ebenfalls endlichen genetischen Information erschaf-
fen werden. Dabei ist das neue Gehirn so zu prägen, daß es in allen
für die Gehirninformation wesentlichen Eigenschaften mit dem al-
ten übereinstimmt. Das ist die Konstruktion eines endlichen Ob-
jekts anhand einer Beschreibung.

Es gibt kein Naturgesetz, das die Erstellung der Beschreibung ei-
nes endlichen Objekts und die Konstruktion eines neuen endlichen
Objekts anhand dieser Beschreibung ausschließt, so wie Einsteins
Relativitätstheorie ein Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit
ausschließt (7). Da die Aufzeichnung der Gehirninformation eine ge-
wisse Zeit dauert, können allerdings vorübergehende Veränderun-
gen des Gehirnzustandes dabei nicht berücksichtigt werden. Das
ist auch nicht notwendig, weil z.B. nur im sogenannten Kurzzeit-
gedächtnis gespeicherte Daten, die nach wenigen Sekunden bis
Stunden wieder vergessen werden, für die Persönlichkeit keine
Rolle spielen.

Trotz allem wirkt die Idee von der Seelenaufzeichnung und -über-
tragung zunächst phantastisch, weil das beim heutigen Stand der
Wissenschaft nicht verwirklicht werden könnte. Etwas Ähnliches
hätten jedoch auch die Menschen im 18. Jahrhundert gedacht,
wenn man ihnen von unseren heutigen Radios, Fernsehern,
Photoapparaten, Autos oder Flugzeugen berichtet hätte.
Es gibt viele Gründe, anzunehmen, daß in der Zukunft die Auf-
zeichnung und die Übertragung der Seeleninformation möglich
sein werden. Dafür können in der Natur vorhandene Möglichkei-
ten der Informationsdarstellung und -übertragung genutzt wer-
den, wie in Abschnitt 4.1 (Seite 57) erläutert wird. Zwar ist dazu
eine tiefgehende Erforschung des Gehirns und der Biochemie des
Lebens erforderlich. Die Wissenschaftler stehen in diesen Gebie-
ten noch ganz am Anfang. Sie gewinnen aber ständig neue Er-


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kenntnisse. Seitdem die Menschen vor etwa 500 Jahren mit der
systematischen Erforschung der Naturgesetze begannen, hat sich
dieser Fortschritt immer mehr beschleunigt. Da ein Stillstand des
wissenschaftlichen Fortschritts nicht zu befürchten ist, kann man
davon ausgehen, daß unsere Nachfahren in einigen Jahrhunderten
über ungeheure technische Möglichkeiten verfügen werden. Es ist
anzunehmen, daß sie Techniken entwickeln werden, die wir uns
mit unserem heutigen Wissen noch gar nicht vorstellen können,
ebenso wie sich die Menschen im Mittelalter die für uns heute
selbstverständlichen vielfältigen Anwendungen der Elektrizität
nicht hätten vorstellen können. Somit läßt sich mit hoher Wahr-
scheinlichkeit vorhersagen, daß die Aufzeichnung und die Über-
tragung der Seeleninformation in einen neuen Körper irgendwann
möglich sein werden.

Wenn es gelingt, Verfahren zur Seelenaufzeichnung und -übertra-
gung zu entwickeln, braucht niemand mehr das Alter oder schwe-
re Krankheiten zu fürchten, weil seine Seeleninformation in einen
neuen Körper übertragen werden kann und er dann in einem jun-
gen und gesunden Körper weiterlebt. Vielleicht werden die Men-
schen der Zukunft ihre Seeleninformation alle zehn Jahre in einen
neuen jugendlichen, aber voll ausgereiften Körper übertragen Ias-
sen. Dann werden sie immer so kräftig und gesund sein, wie es
heute die 20- bis 30jährigen sind. So können sie ewige Jugend ge-
winnen.

Wie schon angedeutet, wird nicht einmal ein plötzlicher Unfall im-
stande sein, den Tod herbeizuführen, weil die Aufzeichnungen der
Gehirninformation aufbewahrt und an einem sicheren Ort gela-
gert werden können. Folglich bleibt die aufgezeichnete Seelenin-
formation auch dann erhalten, wenn der Körper bei einem schwe-
ren Unfall vollständig zerstört wird. Sie kann dann in einen neu
erschaffenen Körper übertragen werden. Danach wird der Mensch
sein Leben fortsetzen, als wäre er nach der letzten Aufzeichnung
seiner Gehirninformation schlafen gegangen und jetzt wieder auf-
gewacht. Verloren gehen nur die Erfahrungen aus dem Zeitraum
zwischen dieser Seelenaufzeichnung und dem Unfall. Um diese
Zeitspanne möglichst kurz zu halten, wird man wahrscheinlich die
Aufzeichnung der Seeleninformation regelmäßig (etwa in einjähri-
gen Abständen) durchführen.

Betrachten wir z.B. einen Astronauten, der zu einer gefährlichen
Expedition in den Weltraum startet. Unmittelbar vorher läßt er


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seine Gehirninformation aufzeichnen. Die Aufzeichnung seiner
Seeleninformation wird in seiner Heimat aufbewahrt. Wenn ihm
nun im Weltall etwas zustößt, kann seine aufgezeichnete Seelenin-
formation auf der Erde in einen neu erschaffenen Körper übertra-
gen werden, und er kann weiterleben. Verloren gehen ihm nur die
Erfahrungen, die er nach der letzten Aufzeichnung seiner Seelen-
information bei dem Raumfahrtunternehmen gesammelt hat.


Somit gewinnen die Menschen durch die Entwicklung von Techni-
ken zur Seelenaufzeichnung und -übertragung die Unsterblichkeit.
Mit ihnen können sie den unfreiwilligen Tod sowohl durch Krank-
heiten und das Alter als auch durch schwere Unfälle ausschließen.
Dann ist das Leben nicht mehr auf wenige Jahrzehnte zwischen
Geburt und Tod begrenzt und gewinnt eine ganz neue Qualität. Je-
der hat beliebig viel Zeit zur Verwirklichung seiner Pläne. Wer ein
langfristiges Vorhaben beginnt, kann es zu Ende führen, auch
wenn es viele Jahrhunderte oder Jahrtausende dauert.


Sobald Verfahren zur Aufzeichnung und zur Übertragung der Ge-
hirninformation zur Verfügung stehen, sind die Menschen von
den meisten der Ängste befreit, die sie heute quälen. Krankheit,
Alter, Tod und Verkrüppelung brauchen sie nicht mehr zu fürch-
ten. Was immer ihnen auch passieren mag, stets haben sie die Ge-
wißheit, in einem neuen jungen und gesunden Körper weiterleben
zu können.


Die Gefahr einer endgültigen Auslöschung bestände nur dann,
wenn sämtliche Aufzeichnungen der Gehirninformation durch ein
Mißgeschick oder ein Verbrechen zerstört würden. Dagegen gibt
es jedoch wirksame Schutzmöglichkeiten. Werden von jeder Auf-
zeichnung Kopien hergestellt und an verschiedenen weit voneinan-
der entfernten Stellen gelagert, so bedeutet die versehentliche oder
absichtliche Zerstörung aller an einem Ort oder in einem Land be-
findlichen Kopien nicht die Auslöschung des Individuums. Es lebt
weiter, wenn nur eine einzige Aufzeichnung seiner Gehirninforma-
tion erhalten bleibt und in einen neuen Körper übertragen wird.
Eine Gesellschaft der Unsterblichen wird wohl dafür sorgen, daß
dieses unter praktisch allen Umständen sichergestellt ist. Somit er-
reichen die Menschen durch die Aufzeichnung der Gehirninfor-
mation einen langersehnten Zustand der Unverwundbarkeit, in
dem ihnen die mannigfaltigen Gefahren unserer Welt nichts mehr
anhaben können.




54


Heute ist unser Bewußtsein allerdings noch von einem anfälligen
Körper abhängig, dr nicht vor dem Verfall bewahrt werden kann.
Auf jeden von uns warten Krankheit, Alter und Tod. Am Ende
unseres kurzen Daseins tut sich ein gähnender Abgrund auf, aus
dem heraus es offensichtlich keine Wiederkehr des Bewußtseins
gibt. Diese Tragik erscheint uns heute so selbstverständlich, daß
die meisten gar nicht versuchen, sich dagegen zu wehren. Die
menschliche Seele empfindet Altern und Tod und das Gebunden-
sein an einen verletzbaren Körper jedoch keineswegs als etwas Na-
türliches. Wiedergeburt und Wiederauferstehung sind uralte
Träume der lVenschheit. So findet sich in verschiedenen asiati-
schen Religionen (z.B. im Hinduismus und im Buddhismus) die
Vorstellung, daß die Seele des Menschen nach seinem Tod in ei-
nem anderen Körper weiterleben könne. Auch in Europa und
Amerika glauben viele Menschen an eine solche Seelenwande-
rung. Sie meinen, sie hätten in der Vergangenheit schon viele Male
gelebt und würden auch in der Zukunft in immer neuen Körpern
wiedergeboren. Dafür gibt es jedoch keine Beweise. Jeder Leser
prüfe selbst: "Können Sie sich noch an eines Ihrer früheren Leben
etwa im 17. Jahrhundert erinnern?" Diese Frage wurde in der Ver-
gangenheit schon häufig gestellt. Kaum jemand hat sie mit "ja"
beantwortet. Die wenigen, die behaupteten, sie könnten sich erin-
nern, konnten dies nicht beweisen. Auch die Anhänger der Lehre
von der Wiedergeburt oder Reinkarnation geben im allgemeinen
zu, daß danach keine bewußte Erinnerung an die vorherige Exi-
stenz mehr vorhanden sein wird. Somit Iassen die religiösen Vor-
stellungen von der Reinkarnation den Menschen keine Hoffnung,
nach dem Tod ihres Körpers eine Wiederauferstehung des eigenen
Ich mit allen seinen Erfahrungen erleben zu können. Diesen
Traum werden erst die Techniken zur Aufzeichnung der Gehirn-
information und zu ihrer Übertragung in einen neu erschaffenen
Körper erfüllen können.

In den folgenden Abschnitten wird erläutert, wie sich das durch
die Weiterentwicklung schon bekannter Technologien verwirkli-
chen läßt. Es ist allerdings zu erwarten, daß in ferner Zukunft
noch elegantere Methoden entdeckt werden, die wir uns mit unse-
rem heutigen Wissen noch nicht vorstellen können.










                                                         55


4.1 Die Aufzeichnung der Gehirninformation




Die Aufzeichnung der Gehirninformation scheint auf den ersten
Blick eine ungeheuer komplizierte Angelegenheit zu sein. Dazu
müssen schließlich alle für die Persönlichkeit eines Menschen
wichtigen Merkmale seines Gehirns ermittelt werden, wobei das
Gehirn aber nicht zerstört werden darf. Außerdem soll das Ganze
nicht lange dauern, damit die Menschen das unbegrenzte Leben,
das ihnen diese Technik ermöglicht, genießen können und sich
nicht ständig mit der Aufzeichnung ihrer Gehirninformation be-
fassen müssen.

Um eine Vorstellung zu gewinnen, wie diese Probleme gelöst wer-
den könnten, sollte man sich noch einmal vor Augen halten, daß
unser Körper aus ca. 75.000 Milliarden Zellen besteht, von denen
jede ein eigenes Leben besitzt. Man kann sie nicht mit bloßem
Auge sehen. Die größten von ihnen messen 1/10 mm im Durchmes-
ser. Die meisten sind noch viel kleiner. Man könnte den menschli-
chen Körper also als einen Zellenstaat ansehen, in dem Billionen
von Zellen zu einem einheitlich funktionierenden Organismus zu-
sammengeschlossen sind. Dieser Zellenstaat kann mit den Staaten
verglichen werden, in denen wir Menschen uns organisiert haben.
Die Bürger des Zellenstaates sind die einzelnen Zellen. Die wich-
tigsten von ihnen sind die Hirnzellen. Sie bilden das Gehirn, den
Regierungs- und Verwaltungsapparat des Zellenstaates. Sie sind
für das Denken und das Planen sowie für die Speicherung von Er-
fahrungen und Erkenntnissen verantwortlich.

Die Aufzeichnung der Gehirninformation läßt sich mit einem gi-
gantischen Spionageunternehmen vergleichen, bei dem vollständi-
ge Informationen über die Regierung des Zellenstaates außer Lan-
des geschafft werden sollen. Dafür wird ein Heer von Agenten re-
krutiert. Ihre Zahl ist viel größer als die der Hirnzellen. Die Agen-
ten besuchen alle Hirnzellen gleichzeitig und bringen sie dazu,
Briefe mit genauen Informationen über die Amtsgeschäfte zu ver-
fassen. Die Hirnzellen versenden die ßriefe über die Blutbahn, die
im Zellenstaat die Aufgaben der Post und des Transportwesens
übernimmt.

Dieser Vergleich mit einem Spionageunternehmen zeigt einen Weg
auf, wie sich die gesamte Gehirninformation eines Menschen in-


56


nerhalb kurzer Zeit aufzeichnen läßt. Der Trick liegt darin, daß
alle Hirnzellen gleichzeitig Besuch von einem Agenten erhalten
und dann alle zusammen "Briefe" zur Beschreibung der Gehirnin-
formation verfassen. So wird die Arbeit auf die vielen Milliarden
Hirnzellen verteilt. Jede hat nur einen kleinen Teil der Aufgabe zu
erfüllen und ist damit schnell fertig.

Wie kann das Ganze nun verwirklicht werden? Hirnzellen produ-
zieren ständig komplexe organisch-chemische Moleküle, die sich
zur Beschreibung und zur Übertragung jeder Art von Informa-
tion, also auch der Gehirninformation, eignen. Solche Makromo-
leküle sind insbesondere die Proteine, die Desoxyribonukleinsäure
(besser bekannt unter der Abkürzung DNS) und die Ribonuklein-
säure (Abkürzung RNS). DNS-Moleküle verschlüsseln z.B. die ge-
netische Erbinformation, die die Entwicklung auch der kompli-
ziertesten Lebewesen aus einer befruchteten Eizelle steuert und so
durch ihre Weitergabe von Generation zu Generation das Leben in
seiner Vielfalt erst ermöglicht. Die Speicherung von Erfahrungen
und Erinnerungen in unserem Gedächtnis hängt wahrscheinlich
ebenfalls von Nukleinsäuren und Proteinen ab. Da solche Makro-
moleküle Informationen jeder Art chiffrieren können, und da sie
über die Blutgefäße aus dem Gehirn heraustransportiert werden
können, ist es möglich, sie an die Stelle der Briefe bei dem
Spionageunternehmen treten zu lassen.

Wer oder was kann nun die Rolle der Agenten übernehmen? Wer
oder was kann die Hirnzellen dazu bringen, Makromoleküle zur
Beschreibung der Gehirninformation zu erzeugen? Für diese:Auf-
gabe wird man nach weiteren Fortschritten in der Wissenschaft
wohl künstlich hergestellte Viren einsetzen können. Viren sind die
einfachsten Lebensformen auf unserer Erde. Sie sind viel kleiner
als die Körper- oder Hirnzellen eines Menschen. Viren bestehen
nur aus einer Eiweißhülle und darin enthaltenen Nukleinsäuren
wie der DNS. Diese fremde genetische Information bringen sie in
die infizierten Zellen und greifen dadurch in deren Lebensvorgän-
ge ein. So entstehen die von Viren verursachten Krankheiten, da
die genetische Information vieler Virusarten für den Menschen
schädlich ist. Das gilt jedoch keineswegs für alle Viren. Es gibt
auch Viren, deren Fähigkeiten für uns nützlich sein können.
Schon heute ist es im Laborversuch möglich, menschliche Zellen
mit Hilfe von Viren so zu verändern, daß erblich bedingte Defekte
geheilt werden.(1) Seit einigen Jahren sind die Wissenschaftler auch


                                                        57


in der Lage, DNS- und RNS-Moleküle und Viren künstlich herzu-
stellen (2).

Eine Weiterentwicklung dieser noch ganz am Anfang stehenden
Technologien bietet ungeheure Möglichkeiten, da mit Hilfe von
Viren die DNS von Zellen verändert werden kann. Die DNS ist die
Quelle des Lebens. Sie steuert alle Lebensvorgänge. In jeder le-
benden Zelle liefert die DNS die Anweisungen für die Herstellung
von Proteinen, die als Eiweiße oder Aufbaustoffe und Enzyme für
alles übrige sorgen, so für den Aufbau, den Stoffwechsel und die
Zusammenarbeit der Zellen in einem Organ. Somit lassen sich mit
gentechnischen Methoden zur Manipulation der DNS (z.B. durch
Einschleusen neuer, auch künstlicher DNS mit Hilfe von Viren)
tiefgreifende Umformungen von Zellen und eine Chirurgie auf
molekularer Ebene erreichen.

Gegenwärtig gelingt das nur in einfachen Fällen, da unser bioche-
misches Wissen noch recht lückenhaft ist. Das bedeutet aber
schon einen gewaltigen Fortschritt in kurzer Zeit, weil der genaue
Aufbau des DNS-Moleküls erst 1953 entdeckt wurde. So konnten
schon mit gentechnischen Methoden Bakterien erschaffen wer-
den, die eine industrielle Erzeugung von Medikamenten wie Hu-
maninsulin oder Interferon ermöglichen (3). Das war mit anderen
Verfahren bisher nicht möglich. Humaninsulin hilft Zuckerkran-
ken, die gegen tierische Insuline allergisch sind. Interferon be-
wirkt bei bestimmten Krebsformen eine starke Besserung.

Nach einer genauen Erforschung des Gehirns und der Biochemie
wird es wohl möglich sein, mit Hilfe einer komplexen Vielfalt von
künstlichen DNS-Molekülen und Viren die Hirnzellen so umzu-
formen, daß sie alle zusammen eine Menge von Makromolekülen
zur vollständigen Beschreibung der Gehirninformation erzeugen.
Dabei dürfen diese oder die Funktionen des Gehirns nicht zerstört
und keine irreversiblen Veränderungen hervorgerufen werden.
Das mag utopisch klingen, weil wir heute noch nicht wissen, wie
die Hirnzellen zur Erreichung dieses Ziels umgeformt werden
müssen.

Dennoch ist zu erwarten, daß die Menschheit irgendwann über die
genauen Kenntnisse des Gehirns verfügen wird, die für die Ent-
wicklung von Techniken zur Aufzeichnung der Gehirninforma-
tion notwendig sind. Es ist ein sehr kompliziertes Organ, das den
Wissenschaftlern noch viele Rätsel aufgibt. Die Zahl seiner Zellen
ist jedoch begrenzt. In der Erforschung ihrer Funktion, Struktur


58


und ihrer Zusammenarbeit untereinander wurden in den letzten
200 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Dabei gibt es laufend
neue Ergebnisse, so daß irgendwann das letzte Geheimnis gelüftet
sein wird, auch wenn der Weg bis dahin noch weit sein mag.
Wegen der Kompliziertheit des Gehirns müssen bei seiner Erfor-
schung riesige Datenmengen analysiert werden. Das wird mit Hil-
fe verbesserter Computer der Zukunft gelingen. Bereits die einfa-
chen Elektronenrechner unserer Zeit bewältigen wegen der
Schnelligkeit ihrer Rechenwerke in wenigen Stunden umfangrei-
che Aufgaben, die ein Mensch in seinem ganzen Leben nicht erfül-
len könnte.

Schon heute läßt sich einiges darüber sagen, wie die Aufzeichnung
der Gehirninformation ablaufen könnte. Die Masse der dabei von
den Hirnzellen herzustellenden Moleküle ist gering, denn Makro-
moleküle speichern sehr viele Informationen auf kleinstem Raum.
Die Aufzeichnung der Gehirninformation wird wahrscheinlich
höchstens einige Tage dauern, weil Viren in erheblich kürzerer
Zeit Zellen verändern und die Hirnzellen sehr rasch eine große
Anzahl von Makromolekülen synthetisieren können.

Die durch die Viren umgeformten Hirnzellen geben die Makromo-
leküle zur Beschreibung der Gehirninformation ähnlich wie die
Abbauprodukte ihres Stoffwechsels an die Blutbahn ab. Die um-
gewandelten Hirnzellen werden den Makromolekülen auch beson-
dere Eigenschaften verleihen, z.B. eine spezielle Struktur oder
eine Schutzhülle ähnlich der der Viren, so daß sie beim Transport
in der Blutbahn nicht zerstört und mit geeigneten Filterungstech-
niken aus dem  Blut entnommen werden können. Eine fortge-
schrittene Chemie der Zukunft wird es dann erlauben, die Mole-
küle zur ßeschreibung der Gehirninformation ohne Verlust der In-
formation in chemisch stabile Verbindungen umzuwandeln. So
entsteht eine dauerhafte Aufzeichnung der Gehirninformation. Es
wird auch möglich sein, davon Kopien herzustellen, so daß ihre
Aufbewahrungsdauer nicht durch die Lebensdauer der Moleküle
begrenzt ist, auf denen sie abgespeichert ist. Die Gehirninfor-
mation läßt sich ebenso wie jede andere Information durch fort-
gesetztes Kopieren für praktisch unbegrenzte Zeit erhalten.
Während der Aufzeichnung seiner Gehirninformation könnte der
Mensch schlafen. Danach versetzen dafür hergestellte DNS-Mole-
küle und Viren das Gehirn wieder in seinen ursprünglichen Zu-
stand, so daß das Individuum keine Veränderung erleidet. Das ist


                                                          59


möglich, weil bei allen für die Aufzeichnung der Gehirninforma-
tion erforderlichen Umformungen darauf geachtet wurde, keine
irreversiblen Veränderungen hervorzurufen.

Das ganze Verfahren mag heute noch extrem kompliziert erschei-
nen. Etwas Ähnliches hätten jedoch auch die Elektrotechniker vor
hundert Jahren gedacht, wenn sie versucht hätten, sich den Auf-
bau und die Funktionsweise eines Computers, eines Fernsehgerä-
tes oder eines Videorecorders vorzustellen. In der kommenden
Zeit wird es in Biologie und Medizin möglicherweise ebenso große
Fortschritte geben wie in den vergangenen Jahrzehnten in  der
Physik und der Elektronik. Robert L. Sinsheimer, ein bedeutender
amerikanischer Biologe, schreibt: "Ich glaube, wir werden erken-
nen, daß wir auf einer riesigen Welle des Fortschritts im biologi-
schen Grundlagenwissen reiten. . . Die moderne Biologie ist heute
so ausgewogen, daß sie einen grundlegend neuen Ansatz zum Ver-
ständnis der Natur des Menschen liefern kann. . . mit diesem Ver-
ständnis werden uns vollkommen neue Kräfte zuwachsen, das Da-
sein des Menschen zu verändern. . ." (4)

Sinsheimers Optimismus ist begründet, denn den Biologen ist es in
den vergangenen Jahrzehnten gelungen, zahlreiche Grundpro-
zesse des I.ebens, wie etwa die Proteinsynthese, aufzuklären und
Methoden zum Eingreifen in die Lebensvorgänge zu entwickeln.
Außerdem stehen den Wissenschaftlern aufgrund der raschen
Fortschritte in der Elektronik von Jahr zu Jahr empfindlichere
Geräte zur Verfügung, mit denen sie biochemische Vorgänge
immer genauer erforschen können. Somit ist zu erwarten, daß in
der Zukunft auch in Biologie und Medizin komplizierte Probleme
gelöst werden können.

Es ist anzunehmen, daß mit den hochentwickelten Technologien
der Zukunft wesentliche Fehler bei der Aufzeichnung der Gehirn-
information vermieden werden können. Um in diesem Punkt eine
noch höhere Sicherheit zu erreichen, wird man die aufgezeichnete
Gehirninformation mit Hilfe eines Computers kontrollieren. Die
Computer der Zukunft werden Moleküle als Informationsspei-
cher benutzen. Schon heute führen Physiker entsprechende Expe-
rimente durch 5. Mit fortgeschrittenen Technologien wird der Bau
von Computern gelingen, die die durch Moleküle beschriebene
aufgezeichnete Gehirninformation rasch lsen und verarbeiten
können. Weil die für die Seeleninformation wichtigen Merkmale
im Gehirn mehrfach vorhanden sind (Begründung folgt in


60


Abschnitt 5.1.2), wird ihre Beschreibung nicht dadurch unvoll-
ständig, daß einige wenige Merkmale falsch aufgezeichnet wur-
den. Da fehlerhafte Moleküle im allgemeinen keine logisch sinn-
volle Information beschreiben, sind Computer in der Lage, sie zu
erkennen und aus den korrekten Molekülen die Seeleninformation
zu ermitteln. Diese läßt sich auch auf einen rasch lesbaren elektro-
nischen Speicher schreiben und dann leicht und schnell vervielfäl-
tigen.

Diese Gedanken mögen so wirken, als sollte der Mensch auf das
Niveau eines Elektronenrechners reduziert werden. Das ist keines-
wegs der Fall. Es wurde schon ausgeführt, daß das komplizierte
menschliche Gehirn mit seinen Milliarden von Zellen den heutigen
Computern mit ihren wenigen Rechenwerken weit überlegen ist.
Trotzdem ist der Mensch nur ein kleines Lebewesen im riesigen
Weltall. Es ist absolut irreal, anzunehmen, daß sich seine Gehirn-
information nicht wie jede endliche Nachricht binär kodieren, von
einem genügend leistungsfähigen Computer nach bestimmten Re-
geln verarbeiten und auf einen elektronischen Speicher schreiben
läßt. Binär kodieren bedeutet das Chiffrieren einer Information
durch endlich viele Bits. Ein Bit bezeichnet dabei eine Ziffer 0
oder l. Im Inneren eines Computers werden alle Informationen
binär kodiert. Auch die in der komplizierten organisch-chemi-
schen Verbindung der DNS chiffrierte genetische Erbinformation,
die das Leben durch ihre Weitergabe von Generation zu Genera-
tion erst ermöglicht, kann durch endlich viele Bits beschrieben
werden.

Ebensowenig wie die Erkenntnis, daß die Erde nicht der Mittel-
punkt des Universums ist, gegen ihren einzigartigen Wert als
Heimat der Menschheit spricht, leugnet die Erkenntnis von der
Endlichkeit und Kopierbarkeit der Gehirninformation den
unschätzbaren Wert jedes einzelnen Menschen. Im Gegenteil, sie
ist Voraussetzung für die Entwicklung von wissenschaftlich be-
gründeten Verfahren zur Bewahrung seines Lebens über den Tod
seines Körpers hinaus.


4.2 Die Erschaffung eines neuen Körpers




Ein Mensch entsteht ebenso wie alle anderen Lebewesen aus einer
einzigen winzig kleinen Eizelle. Nach ihrer Befruchtung durch


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eine männliche Samenzelle beginnt sie sich zu teilen. So entwickelt
sich allmählich ein Embryo, dann ein Fötus und schließlich ein
Baby. Bis das Baby reif zur Geburt ist, müssen aus der einen be-
fruchteten Eizelle durch vielfache Teilung bereits zwei Billionen
Zellen geworden sein. Etwa mit dem zwanzigsten Lebensjahr er-
reicht die Zahl der Zellen des nun vollausgereiften Erwachsenen
zwischen 60 und 100 Billionen.


Diese komplizierte Entwicklung wird von der genetischen Infor-
mation gesteuert, die anfangs nur im Zellkern der befruchteten Ei-
zelle vorhanden ist. Sie enthält die Baupläne, die die erbliche
Struktur des Körpers festlegen. Bei jeder Zellteilung wird sie ver-
doppelt, so daß schließlich alle Körperzellen eine Kopie der geneti-
schen Erbinformation besitzen.


Unsere genetische Information besteht aus ungefähr 2 x 100.000
Genen, die auf 23 Chromosomenpaare verteilt sind. Die Chromo-
somen enthalten DNS-Moleküle. Diese DNS-Moleküle bilden die
Gene. Von ihnen hängen alle erblichen Merkmale des Körpers ab.
Wenn man nun für einen Menschen, dessen Seeleninformation
übertragen werden soll, einen neuen Körper exakt nach dem Vor-
bild seines alten erschaffen will, muß man die Gene aus einer sei-
ner Körperzellen in eine Eizelle einpflanzen. Aus ihr kann dann in
einer geeigneten künstlichen Umgebung der neue Körper heran-
wachsen. Es gibt viele Gründe, anzunehmen, daß das in der Zu-
kunft mtiglich sein wird.

Damit für einen Menschen, dessen Gehirninformation aufgezeich-
net wurde, bei Bedarf ein neuer Körper erschaffen werden kann,
muß seine genetische Information aufbewahrt werden. Schon
heute sind die Mediziner in der Lage, die genetische Erbinforma-
tion durch Konservierung von Zellen bei extrem tiefen Temperatu-
ren zu erhalten. Das wird z.B. bei Keimzellen praktiziert, um eine
spätere künstliche Befruchtung zu ermöglichen.


So wurde in Frankreich von einer Biologin berichtet, deren Mann
an Krebs gestorben war und die mehrere Jahre nach seinem Tod
ein Kind von ihm zur Welt brachte. Ein Verwandter soll damals
gefragt haben, ob ein Wunder geschehen und der Gatte aus dem
Jenseits zurückgekehrt sei. Die Lösung des Rätsels war jedoch viel
einfacher. Eine Spermaprobe des Mannes war vor seinem Tod ein-
gefroren und die Frau mit dem konservierten Sperma künstlich
befruchtet worden.




62


Die Möglichkeit zur Tiefkühlung von Keimzellen wird gegenwär-
tig vor allem von Männern genutzt, die infolge einer Krankheit
von der Unfruchtbarkeit bedroht sind und in den kommenden
Jahren noch Kinder haben wollen. So wurde schon Sperma einge-
froren, zwölf Jahre gelagert und anschließend wiedererwärmt.
Damit wurde dann ein gesundes Kind gezeugt (1). Eine amerikani-
sche Studie an etwa 1500 kryosperma-gezeugten (d.h. mit tiefge-
kühltem Sperma gezeugten) Geburten bescheinigt die Unbedenk-
lichkeit der Methode.(2) Das zeigt, daß sich die DNS-Moleküle und
mit ihnen die genetische Information schon heute künstlich vor
dem Verfall schützen lassen. Mit den Techniken der Zukunft wird
die durch DNS-Moleküle chiffrierte genetische Information
ebenso wie die Gehirninformatiön für praktisch unbegrenzte Zeit
aufbewahrt werden können. 

Es wird auch gelingen, den Körper anhand der erhaltenen Gene zu
rekonstruieren, d.h. ihn nach dem Vorbild des alten neu zu er-
schaffen. Schon heute ist es möglich, aus der genetischen Infor-
mation in einer Körperzelle eines Lebewesens, z.B. eines Frosches,
ein neues mit genau gleichen erblichen Eigenschaften zu erzeu-
gen3. Das wird von den Biologen als Kloning bezeichnet. Dazu
wird ein Zellkern und mit ihm die genetische Information aus ei-
ner Körperzelle des Lebewesens in eine Eizelle gebracht, deren
Zellkern vorher abgetötet wird und die nicht von demselben Indi-
viduurn stammen muß. Es läßt sich erreichen, daß dann aus dieser
Eizelle ein neues Tier heranwächst. Seine Entwicklung wird ge-
steuert von der genetischen Information, die durch die Chromo-
somen in dem übertragenen Zellkern chiffriert ist.

Obwohl die Verhältnisse bei Säugetierzellen komplizierter sind als
bei denen von Amphibien, ist zu erwarten, daß Entsprechendes
nach weiteren Fortschritten in der ßiotechnik auch beim Men-
schen gelingen wird. Die Entstehung aller Lebewesen aus einer
einzigen Eizclle wird nämlich in ähnlicher Weise von ihrer geneti-
schen Erbinformation gesteuert.

Die für die Erschaffung von neuen Körpern erforderlichen Eizel-
len wird man in der Zukunft wohl aus Zellkulturen gewinnen.
Allerdings braucht sich niemand von der Vorstellung abschrecken
zu lassen, der neue Körper wachse 20 Jahre in einem künstlichen
Brutkasten hcan. In der Zukunft werden die Biologen dafür ele-
gantere Verfahren finden. Wahrscheinlich wird der neue Körper
durch eine Beschleunigung der Zellteilungsprozesse in sehr kurzer


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Zeit erschaffen werden können. Außerdem ist die Entdeckung
weiterer heute noch nicht vorstellbarer Möglichkeiten zu erwar-
ten.

Nach einer genaueren Erforschung der Biochemie wird man eine
genetische Information auch künstlich erzeugen und dann daraus
einen neuen Körper erschaffen können, der in allen Merkmalen
den Wünschen des Menschen entspricht, dessen Seeleninforma-
tion übertragen werden soll. Dazu wird man die erforderlichen
Gene synthetisieren, sie anschließend in den Zellkern einer Eizelle
einbauen und daraus den neuen Körper heranwachsen lassen.
Schon heute ist es möglich, Gene künstlich herzustellen (4), neue
Gene in die Zellkerne von Säugetier-Eizellen einzupflanzen und
daraus neue Tiere mit vorher nicht dagewesenen Eigenschaften zu
züchten (5).

Somit wird in der Zukunft niemand mehr wegen seines häßlichen
Aussehens oder eines anderen Körperfehlers leiden müssen. Jeder,
der es will, kann seine Seeleninformation in einen neuen, schönen
und starken Körper übertragen lassen, der nach seinen Vorstellun-
gen erschaffen wird.




4.3 Die Übertragung der Gehirninformation
   



Bei der Übertragung der Seeleninformation sind Eingriffe in das
Gehirn des neuen Körpers erforderlich. Das ruft ethische Beden-
ken hervor, da das Bewußtsein in diesem neuen Gehirn nicht zer-
stört werden darf. Deshalb muß bei der Erschaffung des neuen
Körpers die Funktion des Nervengewebes bis zur Übertragung der
alten Gehirninformation eingeschränkt werden, so daß keine
geistige Aktivität entsteht. Dann hat der neue Körper kein Be-
wußtsein und ist nicht als Person zu betrachten. Seine Erschaf-
fung aus der genetischen Information ist vergleichbar mit der
Nachzüchtung von Organen aus Körperzellen, die von Medizinern
für die Zukunft geplant wird.

Auch für die Übertragung der Gehirninformation lassen sich
künstliche DNS-Moleküle und Viren einsetzen, da mit ihnen tief-
greifende Umformungen von Zellen erreicht werden können. Die
DNS-Moleküle und Viren werden anhand der aufgezeichneten
Gehirninformation erzeugt und versetzen das neue Gehirn in allen


64


für die Persönlichkeit wesentlichen Merkmalen in den Zustand
des alten.

Wie schon erläutert, kann man unseren Körper als einen Zellen-
staat ansehen. Die Übertragung der Gehirninformation in einen
neu erschaffenen Körper läßt sich mit der Gründung eines neuen
Staates vergleichen, der nach dem Vorbild eines alten Staates auf-
gebaut, organisiert und regiert wird. Der neue Staat entsteht aus
einer einzigen Zelle, die auch Eizelle genannt wird. Sie teilt sich
etwa l00 billionen mal. Ihre Nachkommen sind die Zellen des
neuen Staates. Während sie sich vermehren und ihren Staat auf-
bauen, wird eine Armee von Agenten rekrutiert. Jeder von ihnen
erhält einen Teil der aufgezeichneten Gehirninformation des alten
Staates. Mit diesen Informationen programmieren sie die Hirnzel-
len des neuen Staates, damit diese sich genauso verhalten wie die
Hirnzellen des alten Staates. In der Wirklichkeit übernehmen Vi-
ren die Rolle der Agenten. Sie transportieren durch DNS-Molekü-
le chiffrierte genetische Informationen, mit denen sie den Aufbau
und das Verhalten der Zellen des neuen Gehirns beeinflussen.
Die Synthese der von der aufgezeichneten Gehirninformation ab-
hängigen DNS-Moleküle und Viren wird mit fortgeschrittenen
Computer- und ßiotechnologien der Zukunft möglich sein. Dabei
werden Computer gentechnische Anlagen zur Erzeugung dieser
DNS-Moleküle und Viren steuern. Schon heute verarbeiten Elek-
tronenrechner in kurzer Zeit riesige Datenmengen, die ein Mensch
in seinem ganzen Leben nicht überblicken könnte, und steuern in
vielen Bereichen Produktionseinrichtungen, z.B. auch solche zur
Synthese von DNS-Molekülen.

Aus dem bisher Gesagten folgt, daß es keiner heute noch unvor-
stellbaren Techniken der fernen Zukunft bedarf, um die Seelen-
aufzeichnung und die Seelenübertragung zu verwirklichen. Das
läßt sich vielmehr dLlrch eine Weiterentwicklung bekannter Com-
puter- und Gentechnologien erreichen. Allerdings sind dabei
äußerst schwierige Probleme zu bewältigen, weil der menschliche
Organismus in seinem Aufbau sehr kompliziert ist.

Die Vergangenheit hat aber gezeigt, daß komplizierte und zu-
nächst phantastisch anmutende Projekte sehr schnell Wirklichkeit
werden können. Betrachten wir z.B. die Weltraumfahrt. Nach
dem Ersten Weltkrieg stellte Hermann Oberth, damals ein junger
Mathematiklehrer, theoretische Untersuchungen zur Steuerung
von Raketen im Weltall an. Seine Ergebnisse veröffentlichte er


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1923 in einem dünnen Bändchen mit dem Titel "Die Rakete zu den
Planetenräumen". Er behandelte darin automatische und be-
mannte Raketen sowie Raumstationen. Seine Arbeit wurde nach
ihrem Erscheinen von fast allen etablierten Naturwissenschaftlern
ignoriert. Die wenigen Akademiker, die sich damit befaßten, ver-
mochten in seinen Berechnungen keine Irrtümer zu entdecken; das
hinderte sie aber nicht daran, diese als "offenkundig absurd" zu
bezeichnen. Die weltbekannte wissenschaftliche Zeitschrift "Na-
ture" wagte eine etwas günstigere Prognose.1924 schrieb das Blatt
mit bemerkenswerter Kühnheit: "In unserer Zeit der beispiellose-
sten technischen Leistungen darf man sich nicht getrauen zu
sagen, daß nicht sogar das abenteuerliche Projekt Herrn Oberths
einmal verwirklicht werden könnte, ehe die Menschheit aus-
stirbt." Nun hat die Wirklichkeit alle Vorhersagen übertroffen.
Hermann Oberth selbst konnte noch erleben, wie seine Pläne zum
größten Teil realisiert wurden. Inzwischen sind die ersten Men-
schen auf dem Mond gelandet, und unbemannte Sonden erfor-
schen die Planetenräume.

Es wäre allerdings naiv, anzunehmen, daß jede technische Ent-
wicklung so sprunghaft verläuft wie die der Raketentechnik.
Wenn ein Forschungsprojekt, wie etwa das zur Bekämpfung der
Krebskrankheit, nicht nach wenigen Jahrzehnten zum Erfolg
führt, heißt das noch lange nicht, daß das Problem unlösbar ist.
Krebsleiden haben sehr viele verschiedene Ursachen, so daß die
Entwicklung von wirksamen Medikamenten zu ihrer Heilung erst
nach einer genaueren Erforschung der Biochemie möglich sein
wird. Ein weiterer Grund dafür, daß spektakuläre Erfolge bei der
Krebsbekämpfung bisher ausblieben, liegt darin, daß in unserem
Jahrhundert für die Entwicklung von Raketen und Atombomben
wesentlich mehr Geld investiert wurde als für die Grundlagen-
forschung in Biologie und Medizin.

Trotzdem gibt es auch in diesen Wissenschaften rasche Fortschrit-
te. Für die. Erforschung der Biochemie ist die Aufklärung der
Struktur von Proteinen von entschcidender Bedeutung, da sie fast
alle chemischen Reaktionen im Körper und im Gehirn steuern. Zu
Beginn der fünfziger Jahre glaubten viele Wissenschaftler, große
organisch-chemische lVloleküle, wie etwa die Proteine, seien in
ihrem Aufbau zu kompliziert, als daß man sie jemals würde ent-
rätseln können. Aber damals arbeitete bereits Fredrick Sanger, ein
junger Biochemiker, im englischen Cambridge an genau diesem


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Problem. 1954 verkündete er, die vollständige Aminosäuren-
sequenz des Insulins gefunden zu haben. In den folgenden Jahren
wurde mit Hilfe der Sangerschen Technik der Aufbau vieler weite-
rer Proteine ermittelt. Ständige Verfeinerungen und Neuerungen
machten die Erforschung immer komplexerer Eiweißkörper mög-
lich. Die Arbeit, für die Sanger zehn Jahre brauchte und die ihm
den Nobelpreis einbrachte, erledigen heute computergesteuerte
Maschinen in einem Tag2. Ebenso rasche Fortschritte wie bei der
Erforschung der Proteine gab es in den vergangenen Jahrzehnten
auch bei der Aufklärung der Struktur von Nukleinsäuren und an-
deren Biomolekülen. Die Molekularstruktur zahlreicher Gene ist
bereits vollständig bekannt. Auch für die Untersuchung des Auf-
baus lebender Zellen und ganzer Organe stehen heute weseritlich
bessere Geräte als früher zur Verfügung.

Obwohl die Wissenschaftler erst vor wenigen Jahrzehnten begon-
nen haben, bis in die molekularen Dimensionen des Lebens vorzu-
dringen, haben sie dabei schon beträchtliche Erfolge erzielt, was
sich an den Entwicklungen in der Gentechnologie zeigt. Da sie
ständig neue Erkenntnisse gewinnen, und da wir schon heute
einen Weg zur Realisierung der Seelenaufzeichnung und -übertra-
gung angeben können, erscheint es als sehr wahrscheinlich, daß
das spätestens in einigen Jahrhunderten verwirklicht werden
kann.










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