l0. Die Erhöhung der
geistigen Leistungsfähigkeit










Nachdem es den Menschen gelungen ist, die Unsterblichkeit zu er-
reichen und Kolonien im Weltall zu gründen, werden sie in der fer-
nen Zukunft vor einem Problem stehen. Ihr Gehirn könnte näm-
lich durch die Aufnahme der Erfahrungen aus einem sehr langen
Leben überfordert werden, weil es nicht beliebig viele Erinnerun-
gen speichern kann. Wenn die Unsterblichkeit nicht mit einem
Verlust der Erinnerung an die Vergangenheit erkauft werden soll,
ist nach einer gewissen Lebensdauer vor der nächsten Seelenüber-
tragung die Denk- und Speicherkapazität des neuen Gehirns zu er-
weitern. Dabei müssen die für die individuelle Persönlichkeit
wichtigen Merkmale erhalten bleiben.

Wahrscheinlich wird die Vergrößerung der Leistungsfähigkeit des
Gehirns erst nach Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden akti-
ven Lebens erforderlich sein. Es werden nämlich keine Einschrän-
kungen des Denk- und Erinnerungsvermögens durch den Alters-
abbau mehr vorkommen, weil die Seeleninformation immer wie-
der in einen neuen jungen Körper übertragen werden kann.
Außerdem vergessen wir auch in unserem jetzigen befristeten Da-
sein vieles. Solche Kurzzeit-Erinnerungen brauchen in einem un-
begrenzten Leben nicht unbedingt behalten werden. Nur die Erin-
nerungen an wichtige Erlebnisse, Gedanken oder Empfindungen,
die wir jetzt für den ganzen Rest unseres Lebens im Gedächtnis
speichern, dürfen einem Unsterblichen nicht ohne weiteres verlo-
rengehen.

Die genauere Erforschung des Gehirns in der kommenden Zeit
könnte Möglichkeiten eröffnen, die geistige Leistungsfähigkeit
durch ein besonderes Training zu erhöhen. Dann werden die Men-
schen vielleicht irnstande sein, weitaus mehr schöpferische Kraft
zü entfalten als heute und alle wichtigen Erinnerungen aus einem
sehr langen Leben zu behalten, ohne ihr Gehirn zu verändern. So
wäre es erst in sehr ferner Zukunft notwendig, sich mit einer Ver-
besserung des Gehirns zu beschäftigen.


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Es ist zu erwarten, daß dann eine sehr weitgehende Erhöhung der
Denk- und Speicherkapazität des Gehirns gelingen wird. Dadurch
können vielleicht Begabungen erreicht werden, die die Einsteins in
der Mathematik, Goethes in der Dichtung und Mozarts in der Mu-
sik weit übertreffen. Die Fähigkeiten unserer Gehirne lassen sich
nämlich noch gewaltig vergrößern. Da der Mensch das erste intel-
ligente Wesen ist, das die natürliche Evolution auf der Erde her-
vorbrachte, ist nicht anzunehmen, daß sein Gehirn schon optimal
entwickelt ist und nicht noch erheblich verbessert werden kann.




10.1 Die Möglichkeit
eines genialen elektronischen Gehirns




Im folgenden wird beschrieben, wie die Leistungsfähigkeit des Ge-
hirns bei einer Weiterentwicklung bekannter Techniken erlzöht
werden kann. Auch hier ist allerdings zu erwarten, daß in der Zu-
kunft noch viel elegantere Möglichkeiten entdeckt werden, die für
uns heute noch nicht vorstellbar sind.

Bei weiteren Fortschritten, in der Gentechnologie ließe sich die
geistige Leistungsfähigkeit durch die Manipulation der Gene ver-
bessern, die die Entwicklung des neuen Gehirns steuern. Außer-
dem könnte dieses Ziel durch eine Veränderung der Hirnzellen mit
Hilfe von künstlich erzeugten DNS-Molekülen und Viren erreicht
werden. Es ist darüber hinaLis denkbar, die Fähigkeiten des biolo-
gischen Nervengewebes, Geist und Bewußtsein hervorzubringen,
mit denen elektronischer Schaltungen zu vereinigen, Informatio-
nen auf kleinstem Raum zu speichern und sehr schnell zu verarbei-
ten. Das ließe sich vielleicht in der fernen Zukunft mit einem e'lek-
tronischen Gehirn erreichen, das nach dem Vorbild eines mensch-
lichen gebaut ist.

Dieser Gedanke hört sich zunächst bizarr an. Davon braucht sich
aber niemand abschrecken zu lassen, der ein unbegrenztes Leben
wünscht und sich ein elektronisches Gehirn nicht vorstellen kann.
Es ist zu erwarten, daß in der Zukunft noch ganz andere Ver-
fahren zur Erhöhung der Denk- und Speicherkapazität des Ge-
hirns entdeckt werden. Die Möglichkeit eines elektronischen Ge-
hirns wird hier nur deshalb erörtert, weil es den Menschen bei


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Weiterentwicklung bekannter Technologien gestattet, alle wichti-
gen Erinnerungen aus einem beliebig langen Leben zu behalten
und weitaus höhere geistige Fähigkeiten zu erwerben. Außerdem
lassen sich bei ihm die Seelenaufzeichnung und -übertragung sehr
einfach durchführen.

Selbstverständlich kommt ein elektronisches Gehirn nur dann in
Frage, wenn die Gedanken, die Gefi,ihle, die Gedächtnisinhalte,
die gesamte Persönlichkeit und die Freude am Körper dadurch
nicht beeinträchtigt oder verändert werden. Das elektronische Ge-
hirn soll den Menschen nämlich die Vereinigung der Fähigkeiten
des Nervengewebes, Geist, ßewußtsein und eine individuelle Per-
sönlichkeit hervorzubringen, mit den Vorteilen elektronischer
Schaltungen erlauben. In diesem Abschnitt wird erläutert, warum
das irgendwann gelingen könnte und welche Konseuenzen sich
daraus ergeben.

Grundsätzlich ist es möglich, daß ein geeignet konstruiertes künst-
liches Gehirn genauso Geist und Bewußtsein hervorbringt wie ein
aus lebenden Nervenzellen bestehendes. Es gibt nämlich keinen
prinzipiellen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Mate-
rie. Zum Beispiel ist es schon gelungen, Grundprozesse des Lebens
wie etwa die Proteinsynthese im Labor an toter Materie zu de-
monstrieren.(1)

Im folgenden werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwi-
schen Gehirnen und Computern erörtert. Die ersteren bestehen
aus lebenden Zellen, während die letzteren aus elektronischen
Schaltkreisen aufgebaut sind. Sie alle speichern und verarbeiten
jedoch Informationen. So ist die Lösung einer mathematischen
Aufgabe durch einen Computer ein Vorgang der Informationsver-
arbeitung. Er beginnt mit der Eingabe von Zahlen und Anweisun-
gen über eine Tastatur oder über ein anderes Gerät. Daraus er-
rechnet der Computer mit Hilfe eines in ihm gespeicherten Pro-
grammes das Ergebnis. Dieses gibt er z.B. über einen Schnelldruk-
ker aus. Er ist auch in der Lage, Zahlen zu speichern und in späte-
ren ßerechnungen zu verwenden. Entsprechend wie Zahlen kön-
nen Computer auch beliebige andere Daten (z.ß. Texte) speichern
und verarbeiten.

Auch unser Gehirn speichert und verarbeitet Informationen. Es
ist allerdings mit seinen Milliarden Nervenzellen viel komplizierter
als die gegenwärtigen Computer mit ihren wenigen Rechenwerken
und leistet deshalb bei weitem mehr. Seine Eingaben empfängt es


150


von den Sinnesorganen. Seine Ausgaben sind Steuerungsbefehle
an die Drüsen, Muskeln und Organe. Wenn ein Mensch etwa ein
Buch oder ein Gedicht schreibt, ist das ein Vorgang der Informa-
tionsverarbeitung. Eingabe ist alles, was er im Laufe seines Le-
bens bewußt oder unbewußt wahrgenommen hat. Ausgaben sind
die Steuerungsbefehle des Gehirns an die Muskeln seiner Hand,
die seine Gedanken zu Papier bringt. Auch das Gehirn führt seine
Informationsverarbeitung mit Hilfe von Daten durch, die in ihm
gespeichert sind. So verwendet der Schriftsteller für sein ßuch
z.B. Kenntnisse, die er früher gelesen und nicht vergessen hat.
Sein Schaffen wird auch beeinflußt von weiteren in seinem Gehirn
gespeicherten Daten, so von unbewußten Gedächtnisinhalten und
instinktivem Wissen.

Dem Schreiben eines Buches entsprechend, lassen sich auch die
Entdeckung eines physikalischen Gesetzes, das Komponieren ei-
nes Musikstückes und jede andere Handlung eines Menschen als
Vorgänge der Informationsverarbeitung betrachten. Alles, was ein
Mensch sagt oder tut, ist Ergebnis der Informationsverarbeitung
in seinem Gehirn, da dieses die erforderlichen Steuerungsbefehle
an die Muskeln aufgrund einer Verarbeitung von gespeicherten
oder mit den Sinnen wahrgenommenen Informationen erzeugt.

Es besteht allerdings ein gewaltiger Unterschied zwischen der In-
formationsverarbeitung in einem Computer und in einem mensch-
lichen Gehirn. Die gegenwärtigen Computer verfügen nämlich nur
über wenige Rechenwerke, die Informationen im allgemeinen
nacheinander verarbeiten. Deshalb sind sie nur imstande, Aufga-
ben nach Regeln zu lösen, die in einem Programm vorgegeben
sind. Dabei sind sie allerdings sehr schnell. Hingegen verarbeiten
in unserem Gehirn 100 Milliarden Nervenzellen parallel (d.h.
gleichzeitig) Informationen. Das erklärt wahrscheinlich die gewal-
tigen Fähigkeiten unseres Gehirns. Kein bekannter Computer ist
mit einem neuronalen Netzwerk aus 100 Milliarden Nervenzellen
vergleichbar.

Es ist aber vorstellbar, daß eine geeignet konstruierte elektroni-
sche Schaltung, die sehr viele Informationen parallcl verarbeiten
kann, dabei das gleiche leistet wie ein Nervengewebe. Somit ist es
theoretisch denkbar, ein elektronisches Gehirn nach dem Vorbild
eines menschlichen herzustellen, so daß in dem künstlichen Ge-
hirn die gleichen Informationen gespeichert sind und auf dieselbe
Art und Weise verarbeitet werden.




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Man stelle sich nun vor, daß ein Mensch, der es wegen der später
dargestellten Vorteile wünscht, ein solches Gehirn aus elektroni-
schen Schaltkreisen erhält, das ebenso wie sein früheres Gehirn
mit den Körperorganen verbunden wird. Dann spricht und han-
delt er genauso, als ob er sein altes Gehirn noch hitte. Das elektro-
nische erzeugt nämlich in derselben Weise Steuerungsbefehle an
die Drüsen, Muskeln und Organe aufgrund einer Verarbeitung
von gespeicherten oder mit den Sinnen wahrgenommenen Infor-
mationen. Auch sein künstlerisches Schaffen (z.B. das Schreiben
von Büchern und Gedichten, das Malen von Bildern oder das
Komponieren von Musikstücken) ist unverändert. Zu solchen
oder anderen individuell geprägten kreativen Leistungen wäre er
wohl nicht fähig, wenn seine Persönlichkeit, seine Gefühle, Ge-
danken, Erirmerungen, sein Geist, Bewußtsein und seine Seele
nicht mehr vorhanden oder verändert wären. Somit ist anzuneh-
men, daß das alles auf der informationsspeichernden und -verar-
beitenden Tätigkeit des Gehirns beruht und von einem elektroni-
schen Gehirn genauso hervorgebracht werden kann. Es bewahrt
also die individuelle Identität des Menschen und verwandelt ihn
nicht in eine seelenlose Maschine, vergleichbar mit den gegenwär-
tigen Computern.

Allerdings wird erst in ferner Zukunft ein elektronisches Gehirn
nach dem Vorbild eines menschlichen erschaffen werden können.
Eine Voraussetzung dafür ist nämlich, daß bekannt ist, welche In-
formationen ein menschliches Gehirn speichert und auf welche
Art und Weise es Informationen verarbeitet. Irgendwann wird es
wohl möglich sein, das herauszufinden, weil, wie schon oft gesagt,
das Gehirn nur ein kleines Organ aus endlich vielen Zellen, Mole-
külen und Atomen ist und die Wissenschaftler darüber ständig
neue Erkenntnisse gewinnen. Alle für die Persönlichkeit wichtigen
Merkmale eines individuellen Gehirns und damit auch die wesent-
lichen Eigenschaften seiner Informationsverarbeitung und der in
ihm gespeicherten Daten werden durch die Gehirninformation be-
schrieben. Wie sie bei Weiterentwicklung bekannter Technologien
ermittelt werden kann, wurde in Abschnitt 4.1 erläutert. Andere
Methoden dazu wurden im 5. und 7. Kapitel dargestellt.

Eine weitere Voraussetzung für den Bau eines elektronischen Ge-
hirns nach dem Vorbild eines menschlichen ist eine erhebliche
Weiterentwicklung der Elektronik. Vermutlich setzt unser Gehirn
nämlich organische Moleküle zur Speicherung und zur Verarbei-

152


tung von Informationen ein. So beeinflussen chemische Moleküle
die Bereitschaft der Nervenzellen zur Erzeugung elektrischer Rei-
ze, mit denen sie Informationen verarbeiten. Welche Rolle organi-
sche Moleküle und aus ihnen aufgebaute Strukturen bei der Chif-
frierung von Gedächtnisinhalten spielen, wurde im 5. Kapitel er-
Iäutert. Die Verwendung von Molekülen zur Informationsspeiche-
rung und -verarbeitung gestattet es, sehr viele Daten in unserem
kleinen Kopf zu speichern und dort gleichzeitig zu verarbeiten.
Solche Möglichkeiten sind in den gegenwärtig in Computern nicht
vorhanden, deren elektronische Bauelemente viel größer sind als
die organischen Makromoleküle in unserem Gehirn.

In der Elektronik gibt es aber sehr rasche Fortschritte. Die Schalt-
kreise werden von Jahr zu Jahr kleiner. So leisten die heutigen
programmierbaren Taschenxechner mehr als die Großcomputer
der vierziger Jahre, die nöch ganze Gebäude füllten. Damals
bestanden die Computer aus klobigen Elektronenröhren, die meh-
rere Zentimeter lang waren. Hingegen können heute Hundert-
tausende von elektronischen Schaltkreisen, von denen jeder ein-
zelne die Funktionen einer Elektronenröhre erfüllen kann, auf ei-
nem dünnen Siliziumplättchen untergebracht werden, weIches
nicht einmal einen Quadratzentimeter groß ist. Diese Chips wer-
den ständig verbessert. In den USA und in Japan werden bereits
Chips erprobt, die auf der Fläche von einem Quadratzentimeter
viele Millionen Schalteinheiten aufnehmen können. Zur Zeit ist
das Tempo des Fortschritts so hoch, daß die jeweils neuesten Er-
gebnisse oft schon nach wenigen Monaten wieder überholt sind.
Wenn die Entwicklung der Elektronik weiterhin so schnell voran-
schreiten sollte, könnten die immer kleiner werdenden Schaltkrei-
se nach Schätzungen von Physikern schon in etwa 30 Jahren die
Größe von Molekülen erreichen (2).

Bereits jetzt experimentieren Wissenschaftler mit Molekülen, die
sich zur Speicherung und zur Verarbeitung von Informationen eig-
nen 3. Sie planen, daraus molekulare elektronische Schaltungen
aufzubauen. Voraussichtlich werden die Forscher in der kommen-
den Zeit viele weitere derartige Moleküle finden. Irgendwann wer-
den sie aus ihnen vielleicht elektronische Schaltungen herstellen,
die auf gleichem Raum weit mehr Informationen speichern und
verarbeiten als ein Nervengewebe und dieses in derselben Art und
Weise tun. Es ist nämlich unwahrscheinlich, daß das aus den Zu-
fallsprozessen der natürlichen Evolution hervorgegangene Ner-


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vengewebe diese Aufgaben optimal erfüllt und nicht in seinen
Leistungen durch ein künstliches (z.B. elektronisches) System
übertroffen werden kann.

Zum Beispiel nehmen Wissenschaftler aufgrund von Experimenten
an, daß unser Gedächtnis höchstens ein Äquivalent von einer Mil-
liarde Bit speichern kann (vgl. Abschnitt 5.1.2)(4). Das weist darauf
hin, daß unser Gehirn nicht optimal entwickelt ist. Allerdings
könnte die Schätzung zu niedrig sein. Außerdem ist zu berücksich-
tigen, daß in unserem Gehirn noch weitere Informationen (z.B. in-
stinktives Wissen) gespeichert sind.

Trotzdem überlegt man sich leicht, daß es weit mehr als das Mil-
liardenfache von einer Milliarde Bit aufnehmen könnte. Dazu stel-
le man sich vor, daß jede Nervenzelle für die Speicherung von In-
formationen so viele DNS-Moleküle erhält, wie in ihrem winzigen
Zellkern Platz hätten. Dann wäre unser Gehirn in der Lage,
2 x 10^21 Bit aufzunehmen. Dabei ist 2 x 10^21 eine kürzere Schreib-
weise für eine Zahl, die aus einer Zwei mit 21 Nullen besteht. Das
sind 2000 Milliarden x 1 Milliarde. Diese ungeheuer große Zahl er-
gibt sich aus der Tatsache, daß in jedem Zellkern der etwa 10^11
Nervenzellen eine Kopie der Erbinformation vorhanden ist. Sie
wird durch DNS-Moleküle chiffriert, die ungefähr 2 x 10^10 Bit be-
schreiben (5).

Die DNS-Moleküle zur Speicherung des 2000milliardenfachen der
Informationsmenge, die unser Gedächtnis nach den Schätzungen
von Wissenschaftlern höchstens aufnehmen kann, würden im
Kopf genügend Platz für die anderen Hirnfunktionen lassen. Es
wäre nämlich nur ein sehr geringer Teil des Volumens jeder Ner-
venzelle dafür notwendig, da die Zellkerne sehr klein sind. Diese
Betrachtungen weisen darauf hin, daß sich mit einem elektroni-
schen Gehirn eine ungeheure Erhöhung der Speicherkapazität des
Gedächtnisses erreichen läßt. Es könnte nämlich aus Molekülen
bestehen, die Informationen auf ähnlich kleinem Raum wie die
DNS-Moleküle chiffrieren.

Außerdem ist zu erwarten, daß seine molekularen Schaltkreise In-
formationen wesentlich schneller verarbeiten als unser Nervenge-
webe. Die in heutigen Computern verwendeten elektronischen
Schaltungen beantworten nämlich mehr als 10 Milliarden Signale
in der Sekunde, während Nervenzellen nicht häufiger als l000mal
in der Sekunde auf Reize antworten. Elektronische Signale wer-
den mit bis zu 300.000 km/s (der Lichtgeschwindigkeit) übertra-


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gen und damit dreimillionenmal schneller als die Signale in den
Nervenfasern, deren Geschwindigkeit zwischen 1 m/s und
100 m/s liegt.

Zwar sind die gegenwärtigen Computer trotz der Schnelligkeit ih-
rer Rechenwerke nicht in der Lage, einfache geistige Leistungen,
wie etwa das Wiedererknnen von Personen oder das Lesen einer
undeutlich geschriebenen Handschrift, zu simulieren. Das ist je-
doch dadurch zu erklären, daß sie nur über wenige Rechenwerke
verfügen, während in unserem Gehirn 100 Milliarden Nervenzel-
len parallel arbeiten. Da Moleküle bei weitem kleiner sind als Zel-
len, werden in einem elektronischen Gehirn Billionen von kompli-
zierten molekularen Schaltkreisen gleichzeitig Informationen ver-
arbeiten. Deshalb ist zu erwarten, daß ein elektronisches Gehirn
auch schwierige Überlegungen viel schneller zu Ende führen kann
als unser gegenwärtiges.

Trotzdem wird man im elktronischen Gehirn die Möglichkeit
vorsehen, Informationen in derselben Art und Geschwindigkeit zu
verarbeiten wie im biologischen, um die individuelle Persönlich-
keit nicht zu gefährden. Wenn der Mensch mit einem elektroni-
schen Gehirn aber vor einem schwierigen Problem steht, ist er im-
stande, in einen ganz neuen Bewußtseinszustand zu wechseln. In
diesem kann sein Geist die besonderen Fähigkeiten der elektroni-
schen Schaltkreise, z.B. zur schnelleren Informationsverarbei-
tung, nutzen. Das gestattet ihm mehr Überlegungen innerhalb
einer kurzen Zeitspanne und damit ein differenzierteres Denken.
Wahrscheinlich sind seine Talente dann größer als die der klügsten
Köpfe der Gegenwart, weil die elektronischen Schaltkreise seines
Gehirns deren Nervengewebe weit überlegen sind.

Der Mensch mit dem elektronischen Gehirn behält seine äußere
Gestalt und spürt seine Körperlichkeit wie früher, weil das künstli-
che Gehirn genauso wie das biologische Informationen von den
Sinnesorganen aufnirnmt und die Drüsen, Muskeln und Organe
steuert. Folglich fühlt, sieht, hört, schmeckt und riecht er wie mit
seinem alten Gehirn. Aufgrund des minimalen Raumbedarfs sei-
ner Bauelemente ist das elektronische Gehirn so klein, daß es trotz
seiner gewaltigen Fähigkeiten im Kopf eines Menschen Platz fin-
det. Die Energieversorgung wird kein Problem sein. Die bisherige
Entwicklung der Elektronik zeigt nämlich, daß die immer kleiner
werdenden Bauelemente bei steigenden Leistungen in der Infor-
mationsverarbeitung immer weniger Energie verbrauchen.


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Bei einem elektronischen Gehirn können die Aufzeichnung und
die Übertragung der Seeleninformation in sehr einfacher Weise
durchgeführt werden. Wegen der Endlichkeit der Seeleninforma-
tion lassen sich nämlich alle Persönlichkeitseigenschaften und Ge-
dächtnisinhalte durch endlich viele Daten in den Speichern der
Schaltkreise chiffrieren. Diese Daten werden durch die Denkvor-
gänge ständig verändert. Für die Seelenaufzeichnung sind die
Speicherinhalte des elektronischen Gehirns auf einen dauerhaften
Datenträger zu kopieren. Bei der Seelenübertragung ist die aufge-
zeichnete Seeleninformation in ein neu hergestelltes elektronisches
Gehirn einzuspeichern.

Das Kopieren und Einspeichern von Daten ist bei elektronischen
Schaltkreisen einfach und erfolgt sehr schnell. Das zeigen schon
die heutigen Computer, die imstande sind, den Inhalt ihrer elek-
tronischen Speicher rasch auf dauerhafte Datenträger zu kopieren
und Informationen von solchen externen Speichern schnell wieder
in ihre Schaltkreise zu übernehmen. Daten können dabei auch
über eine Funkverbindung übertragen werden. Somit braucht der
Mensch mit einem elektronischen Gehirn nur die darin gespeicher-
ten Daten zu einem Speicherungsgerät zu senden, wenn er seine
Seeleninformation aufzeichnen will. Irgendwelche Eingriffe in
sein Gehirn sind dazu nicht erforderlich.

Schon die gegenwärtigen Elektronenrechner lassen sich so kon-
struieren, daß Fehler bei Datenübertragungen und bei der Daten-
verarbeitung sehr unwahrscheinlich sind. Man kann in ihnen näm-
lich eine mehrfache Speicherung und eine parallele Verarbeitung
von Informationen vorsehen. Wenn z.B. die Daten mehrfach ge-
speichert sind, gehen bei falscher Übertragung einzelner Daten
keine Informationen verloren. Die fehlerhaft übertragenen Daten
werden von elektronischen Prüfeinrichtungen erkannt und an-
hand der richtig übertragenen Kopien korrigiert. ßei schweren
Fehlern, die allerdings wegen der Zuverlässigkeit der Elektronik
nur selten vorkommen, wird einfach die gesamte Übertragung
wiederholt. Auch in unserem Nervengewebe werden Informatio-
nen mehrfach gespeichert und parallel verarbeitet (6). Letzteres be-
deutet ihre gleichzeitige Verarbeitung an verschiedenen Stellen.
Dabei lassen sich die Ergebnisse vergleichen und so Fehler erken-
nen und korrigieren.

Entsprechende Sicherheitsvorkehrungen werden auch bei den
elektronischen Gehirnen möglich sein, weil sie die Fähigkeiten von


156


elektronischen Schaltkreisen und biologischen Nervengeveben in
sich vereinen. In Zukunft wird man noch weitere Verfahren zur
Vermeidung von Fehlern finden, so daß wesentliche Irrtümer bei
den Seelenaufzeichnungen und -übertragungen nicht zu befürch-
ten sind.

Selbstverständlich wird die Persönlichkeit des Individuums im
Laufc eines sehr langen Lebens nicht die gleiche bleiben. Schließ-
lich verändern wir uns auch in unserem jetzigen kurzen Dasein
von Tag zu Tag und entwickeln uns von Jahr zu Jahr weiter. In ei-
nem unbegrenzten Leben wird d.er Mensch weit höhere Stufen des
Bewußtseins erreichen, weil er dann viel mehr Zeit hat und die
Leistungsfähigkeit seines Gehirns verbessern kann. Er wird aber
niemals vergessen, wer er war, da ein elektronisches Gehirn oder
andere Techniken der Zukunft es auch in einem beliebig langen
Leben gestatten werden, alle wichtigen Erinnerungen zu behalten.

Er kann sich z.B. mit einem zusätzlichen Computer helfen, wenn
selbst die riesige Speicherkapazität seines elektronischen Gehirns
nicht mehr ausreicht, alle wichtigen Erinnerungen aufzunehmen.
Mit dem elektronischen Gehirn ist er imstande, Computer nur
durch seine Gedanken zu steuern und Informationen von ihren di-
gitalen Speichern rasch in sein Gedächtnis zu überspielen. Die
Kommunikation zwischen dem in einem elektronischen Gehirn
wohnenden menschlichen Geist und einem Computer wird sehr
einfach sein, weil alle elektronischen Schaltungen Informationen
durch elektrische Signale kodieren. Wie leicht die Informations-
übertragung zwischen elektronischen Schaltkreisen ist, zeigt sich
schon an den heutigen Computern, die z.B. über eine Funkverbin-
dung sehr rasch große Datenmengen austauschen können.

So kann der mit einem elektronischen Gehirn ausgestattete
Mensch Erinnerungen aus der Vergangenheit einem persönlichen
Computer übergeben, dessen Speicherkapazität viel größer als die
seines Gehirns ist, weil er nicht im Kopf Platz finden muß. Auf ei-
nen Gedanken hin überspielt der persönliche Computer die Erin-
nerungen wieder in das Gedächtnis seines Besitzers. Das wird so
rasch geschehen, daß der mit einem elektronischen Gehirn ausge-
stattete Mensch den Eindruck hat, alle Erinnerungen wären in sei-
nem Gedächtnis vorhanden. Computer können nämlich Informa-
tionen in ihren Digitalspeichern sehr schnell wiederfinden. Das
zeigen schon die heutigen Rechner. Ein Mensch muß oft lange
überlegen, bis er sich an etwas einmal Gelerntes erinnert. Hinge-


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gen kann ein Computer eine in seinen Speichern vorhandene In-
formation bei Eingabe eines entsprechenden ßefehls innerhalb
von Sekundenbruchteilen suchen und ausgeben.

Die Speicherkapazität des persönlichen Computers wird im Laufe
des unbegrenzten Lebens seines Besitzers immer weiter vergrö-
ßert, so daß er stets alle wichtigen Erinnerungen aufnehmen kann.
Die im persönlichen Computer gespeicherte Information wird
ebenso wie die Gehirninformation regelmäßig aufgezeichnet und
vervielfältigt, damit sie nicht bei einem technischen Defekt verlo-
rengeht. Außerdem unterstützt der persönliche Computer seinen
Besitzer bei verschiedenen Aufgaben aller Art. So führt er z.ß.
auf eine gedankliche Anweisung hin umfangreiche Berechnungen
durch oder steuert Roboter, um bestimmte Arbeiten zu erledigen.

Trotz seiner Vorteile wird der Mensch nicht ständig von ihm ab-
hängig sein. Für die Persönlichkeit wichtige Informationen und
häufig gebrauchte Erinnerungen und Fähigkeiten sind dauernd in
seinem elektronischen Gehirn gespeichert. Nur selten benötigtes
Wissen, z.ß. über einzelne Ereignisse aus der fernen Vergangen-
heit, holt er sich vom Computer. Dafür genügt eine kurzzeitige
Verbindung. Entsprechendes gilt auch, wenn der Mensch seinen
Computer anweist, bestimmte Aufgaben zu lösen. Mit den Tech-
niken der Zukunft wird der Kontakt zum Computer erforderli-
chenfalls überall innerhalb von Sekundenbruchteilen hergestellt
werden können. Auf weiten Reisen wird der persönliche Compu-
ter seinen Besitzer begleiten.










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